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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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blitzte im funkelnden Vorfrühlingslicht. Das alte Männchen schritt mit dem Spiegel in den Händen so ehrfürchtig, als hätte er an seinem Lebensende von den Feen doch noch das Geschenk erhalten, nach dem er sich von Kindheit an gesehnt hatte. Es war offensichtlich, daß der gute Bulgare den Spiegel soeben gestohlen hatte. Er schritt zwischen den Trümmern dahin, als wäre auf der Welt endlich der große Jubeltag angebrochen und er wäre einer der Gefeierten dieser zauberhaften, geheimnisvollen Festlichkeit. Er, der Bulgare mit dem gestohlenen Spiegel.
    Ich rieb mir die Augen und blickte auch ihm einen Moment lang nach. Dann ging ich instinktiv auf das Trümmerhaus zu, aus dem der Alte getreten war. Das Tor war noch ganz, aber anstelle der Treppe führte ein Schutthügel in den ersten Stock hinauf. Später hörte ich, daß dieses alte Budaer Haus mehr als dreißig Treffer von Bomben, Minen und Granaten erhalten hatte. Auch hier wohnten Bekannte, zum Beispiel im ersten Stock der pensionierte Kurienrichter und seine Frau, mit denen wir manchmal bei Auguszt, der alten Konditorei in Buda, Kaffee getrunken hatten. Das Krisztina-Viertel war schon immer eher wie eine österreichische Kleinstadt gewesen, es glich keinem anderen Stadtteil von Budapest. Ureinwohner und Neuzuzügler lebten hier in familiärer Vertraulichkeit, in einer stillen Verschwörung, die weder Ziel noch Zweck hatte, sondern nur bedeutete, daß hier alle zu derselben Klasse gehörten, nämlich zu dem Bürgertum, das es dank Pension oder dank friedlicher Kleinarbeit zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hatte. Und wen es aus einer unteren Schicht hierher verschlagen hatte, der schaute den Ureinwohnern das Benehmen ab, war anständig und bescheiden. So der Schlosser, so der Spengler. Das war eine einzige große Familie im Krisztina-Viertel, bieder, brav, rechtschaffen.
    Mir klang der Ruf des Spenglers noch im Ohr, dieser verschworene, ganovenhafte Schrei. Ich kletterte über den Schutthaufen in den ersten Stock hinauf und fand mich in der Wohnung des Kurienrichters wieder, im mittleren Zimmer, dem Salon. Ich kannte ihn, wir waren hier einmal zum Tee eingeladen gewesen. Die Decke des Zimmers fehlte, eine Bombe hatte das Hausdach zertrümmert, und alles war von oben hierher durchgebrochen, Dachbalken, Ziegel, Fensterrahmen, eine Tür, Brick und Mörtel, und dann die Teile verstümmelter Möbel, ein Empiretischbein, die Frontseite eines Maria-Theresia-Schranks, Bestandteile von Vitrinen und Lampen.
    Unter dem ganzen Schutt schaute ein Zipfel des Orientteppichs hervor. Und auch eine Photographie des alten Kurienrichters lag auf diesem Haufen. Ein Bild im Silberrahmen, der Alte im Gehrock, mit pomadisiertem Haar. Ich schaute es mit Ehrfurcht an, es hatte etwas von einem Heiligenbild. Doch dann schob ich das Bild mit der Schuhspitze beiseite. Das Zimmer mit seinen Trümmern aus verschiedenen Wohnungen sah aus wie der Abfallhaufen der ganzen Geschichte. Die Bewohner waren noch nicht aus dem Keller aufgetaucht, oder vielleicht waren sie dort umgekommen. Ich wollte mich schon ans Hinuntersteigen machen, als ich merkte, daß ich nicht allein war.
    Durch die Öffnung, die in einer kaputten Wand in den Nebenraum führte, kroch ein Mensch daher, in einer Hand eine Schachtel mit Silberbesteck. Er grüßte mich ohne Verlegenheit, so höflich, als käme er auf Besuch. Der Nebenraum war das Eßzimmer des Kurienrichters, von dort kam der liebe Gast gekrochen. Es war ein Beamter, den ich vom Sehen kannte, auch er wohnte im Krisztina-Viertel, ein rechtschaffener Bürger. »Die Bücher«, sagte er bedauernd, »wie schade um die Bücher.« Wir stiegen gemeinsam ins Erdgeschoß hinunter, ich half ihm die Schachtel tragen. Dabei plauderten wir locker. Er sagte, eigentlich sei er wegen der Bücher gekommen, der alte Richter habe eine große Bibliothek gehabt, Belletristik und juristische Werke, alles gebunden, und er liebe Bücher sehr. Deshalb habe er gedacht, er wolle »die Bibliothek retten«. Bedauerlicherweise habe er es nicht tun können, denn auch im Nebenzimmer sei die Decke eingebrochen, und die Bücher seien durchnäßt, ein einziger Brei wie in einer Papierfabrik. Das Silberbesteck erwähnte er nicht, das hatte er nebenbei aufgelesen.
    Plaudernd, auf Händen und Füßen, rutschten wir über den Schutthaufen hinunter. Galant zeigte mir der Beamte den Weg, hielt mich zuweilen am Ellenbogen fest und half mir über schwierige Stellen hinweg. Beim Tor verabschiedeten wir

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