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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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vielleicht entstand dieser Eindruck wegen der Umgebung, von der er abstach wie ein Museumsstück, das aus dem Glaskasten genommen und in den Mief einer Kleinbürgerwohnung gestellt wird. Wie wenn du die Moses-Statue, die wir gestern in der dämmerigen Kirche gesehen haben, plötzlich im Salon eines Posthalters wiederfändest, zwischen zwei Buffets. Na ja, so ein Kunstwerk wie die Moses-Statue war mein Gatte nun nicht. Doch in dem Augenblick war er in seiner Art auch ein Kunstgegenstand, den es auf die Straße verschlagen hatte. Ein lächelnder Kunstgegenstand.
    Puh, ist mir heiß geworden. Schau, ich habe ein ganz rotes Gesicht, das Blut ist mir zu Kopf gestiegen. Ich habe noch nie mit jemandem darüber geredet. Aber offensichtlich denke ich die ganze Zeit daran. Und wenn ich es ausspreche, überläuft es mich heiß.
    Diesem da brauchte man die Füße nicht zu waschen, der wusch sie sich selbst, morgens im Keller, das kannst du mir glauben. Der brauchte keine Tröstung, keine frommen Sprüche, daß den Menschen das Heil winkt. Der hielt bis zu seinem Ende nur noch an einem einzigen fest, das den Sinn und den Schutz seines Lebens ausmachte, nämlich an der Höflichkeit, den guten Manieren, der Unnahbarkeit. Der war, als hätte man ihn mit Zement gefüllt. Und dieser Mensch, innen Zement, außen Fleisch und Blut, kam mir nicht einen Millimeter näher. Das Erdbeben, das Länder erschüttert und verschoben hatte, ihn hatte es innerlich nicht bewegt. Er sah mich an, und ich spürte, daß er eher gestorben wäre, als auch nur ein Wort zu sagen, das nicht mit »Ich glaube« oder »Mir scheint« begann. Falls er den Mund aufgemacht hätte, würde er bestimmt gefragt haben, wie es mir ging, ob ich etwas brauchte, ja, er wäre bestimmt bereit gewesen, mir seinen Mantel zu geben oder seine Armbanduhr, die ihm irgendein Russe aus Zerstreutheit gelassen hat. Er hätte alles lächelnd hergegeben, denn er war mir nicht mehr böse.
    Jetzt gib acht. Ich sage dir etwas, und das habe ich noch nie jemandem gesagt. Es stimmt nicht, daß die Menschen nur egoistische Bestien sind. Sie sind auch bereit, einander zu helfen, das gibt es auch. Doch es sind nicht Güte oder Mitleid, die sie dazu anstacheln. Ich glaube, der Glatzkopf hat es richtig gesagt, er meinte, die Menschen seien manchmal gut, weil sie Hemmungen haben, das Schlechte zu tun. Zu mehr sei der Mensch nicht fähig. Es gebe auch solche, die aus Feigheit gut sind. So sagte es der Glatzkopf. Ich habe es noch nie jemandem weitererzählt. Nur dir, mein einziger Schatz.
    Na, wir konnten natürlich nicht ewig dort bei der Felsengrotte sitzen bleiben. Nach einer Weile räusperte sich mein Gatte und sagte, »er glaube«, es wäre am besten, aufzustehen und noch ein bißchen zwischen den Villentrümmern des Gellérthegy spazierenzugehen, da doch das Wetter so schön sei. Er »fürchtete«, er würde in der nächsten Zeit nicht mehr viel Gelegenheit haben, mit mir zu plaudern. Er wollte sagen, in der verbleibenden Zeit des Lebens. Er sprach es nicht aus, das war auch nicht nötig, denn ich wußte selbst, daß wir uns zum letztenmal sahen. Also begannen wir, über die sanft ansteigenden Straßen auf den Gellérthegy zu steigen, zwischen Kadavern und Ruinen.
    Auf diese Art spazierten wir etwa eine Stunde lang. Ich weiß nicht, was mein Mann dachte, als ich auf den Hängen des Budaer Hügels neben ihm hertrottete. Er sprach ruhig, ohne Gefühle. Ich fragte ihn vorsichtig, wie er hierhergeraten, was ihm in dieser seltsamen Welt widerfahren war. Er sagte höflich, es sei den Umständen entsprechend alles in Ordnung. Er wollte sagen, er sei vollkommen pleite und er gehe als Arbeiter ins Ausland. In einer Kehre des langen Wegs blieb ich stehen und fragte ihn, wobei ich ihn nicht anzuschauen wagte, was er meine, wie sich die Welt entwickeln würde.
    Auch er blieb stehen, schaute mich ernst an und dachte nach. Bevor er antwortete, dachte er immer nach, schöpfte gewissermaßen Atem. Er blickte mit seitwärts geneigtem Kopf auf mich, dann betrachtete er das Trümmerhaus, vor dem wir standen. Und er sagte: »Ich fürchte, es sind zu viele Menschen auf der Welt.«
    Und als hätte er damit sämtliche Fragen beantwortet, machte er kehrt und begann in Richtung der Brücke wieder hinabzusteigen. Ich trabte eifrig neben ihm her und verstand nicht, was er gesagt hatte. Wieso zu viele Menschen? Gerade in der Zeit waren weiß Gott genug Leute umgekommen. Er sagte aber nichts mehr, sondern schritt kräftig

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