Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
habe auch nur ein einziges Bild von ihm. Er mochte es nicht, wenn man ihn photographierte. Manchmal kam er mir vor wie ein Verbrecher, der Angst hat, man würde auf einem Glas seine Fingerabdrücke finden, und der sich unter einem falschen Namen versteckt. Wenn an dem Mann etwas interessant war, so vielleicht nur die Tatsache, daß er sich mit jeder Faser seines Körpers gegen das Interessantsein wehrte. Aber lassen wir ihn.
Erpresse mich nicht.
Ich ertrage es nicht, wenn du mich auf diese Art erpreßt, so schmollend und drohend. Du willst, daß ich dir das auch noch gebe? So wie den Ring, wie die Dollars? Alles soll ich dir geben? Nichts willst du mir lassen? Wenn ich dir auch das noch gebe, bleibt mir gar nichts mehr. Wenn du mich dann sitzenläßt, bleibe ich mit leeren Händen zurück. Das willst du?
Na gut, ich erzähle es dir. Aber bilde dir bloß nicht ein, du seist der Stärkere. Ich bin einfach schwächer.
Es ist nicht leicht, davon zu erzählen. Als ob man ein Nichts erzählen müßte. Ich glaube, im Leben kann man nur das Etwas erzählen, ich meine, in diesem einfachen, alltäglichen Leben. Denn weißt du, es gibt Menschen, die nicht nur im Alltag leben, sondern auch anders, irgendwie in einer anderen Wirklichkeit. Diese Menschen können vielleicht auch das Nichts erzählen, und so spannend wie einen Kriminalroman. Dieser Mensch hat gesagt, alles sei Wirklichkeit. Nicht nur die Dinge, die man mit Händen greifen kann, sondern auch die Begriffe. Und wenn das Nichts ein Begriff war, so interessierte er sich eben für das Nichts. Er nahm es in die Hand, drehte es nach allen Seiten. Blinzle nicht, ich sehe schon, daß du das nicht begreifst. Ich begriff es auch nicht. Aber dann habe ich in seiner Gesellschaft irgendwie erlebt, wie in seinen Händen, in seinem Kopf das Nichts zu Wirklichkeit wurde, wie es wuchs und sich mit Bedeutung füllte. Das war sein Trick. Zerbrich dir nicht den Kopf. Das ist zu hoch für uns.
Wie er hieß? … Na, für die Welt hatte er schon eine Art Namen. Ehrlich gesagt, ich hatte früher nie ein Buch von ihm gelesen. Als ich ihn kennenlernte, dachte ich, er spiele mit mir, so wie er mit allem und allen spielte. Da habe ich mich in meiner Wut hingesetzt und doch eins seiner Bücher gelesen. Ob ich es verstanden habe? Im großen und ganzen schon. Er schrieb mit einfachen Worten, so wie man sie auch im Leben gebraucht. Er schrieb vom Brot und vom Wein und davon, was man essen und wie man spazieren und was man während des Spazierens denken soll. Es war wie ein Lehrbuch für leicht bedepperte Leute, die nicht wissen, wie man richtig lebt. Aber es war auch ein schlaues Buch, eine gespielte Natürlichkeit, doch hinter dem Herr-Lehrer-Ton grinste auch irgendwie eine verwegene Gleichgültigkeit. Als ob alles, das Buch und das Schreiben des Buchs und der Leser, der das Buch in den Händen hält und sich bemüht, es zu verstehen, und dabei ernst wird oder verträumt oder gerührt, als ob das alles von einem bösen Jungen im Hintergrund beobachtet würde, aus einer Ecke des Zimmers, zwischen den Seiten des Buchs hervor. Und dieser Junge grinst schadenfroh. So ein Gefühl hatte ich, als ich sein Buch las. Ich verstand jede Zeile, bloß das Ganze verstand ich nicht, denn es war mir nicht klar, was er eigentlich wollte. Und ich verstand nicht, warum er Bücher schrieb, wenn er nicht daran glaubte, weder an die Literatur noch an die Leser. Ich wurde wütend, als ich sein Buch las. Ich hab’s auch nicht fertig gelesen, sondern wütend in eine Ecke geschmissen.
Später, als ich bei ihm lebte, habe ich ihm das auch gesagt. Er hörte mir ernst zu, wie ein Priester oder ein Erzieher. Dann nickte er und schob sich die goldgerahmte Brille in die Stirn. Und sagte verständnisvoll: »Eine Schande«, und er machte eine Handbewegung, als schmisse auch er entmutigt sämtliche Bücher der Welt in die Ecke. »Jawohl, Schmach und Schande.«
Dazu seufzte er traurig. Aber er hat nicht gesagt, was die Schande war. Die Literatur? Oder daß ich das Buch nicht verstand? Oder daß es etwas gibt, das man nicht schreiben kann? Ich wagte ihn nicht zu fragen. Denn mit den Wörtern ging er um wie der Apotheker mit den Giften. Wenn ich ihn nach der Bedeutung eines Wortes fragte, schaute er mich mißtrauisch an, genau wie ein Apotheker, wenn eine zerzauste, aufgewühlte Frau daherkommt und ein Schlafmittel verlangt, zum Beispiel Veronal. Nach seiner Meinung waren Wörter Gift. Ein bitteres Gift, das man nur stark
Weitere Kostenlose Bücher