Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
aus, wie jemand, der es eilig hat. Ich begann mich zu fragen, ob er scherzte oder mich auf den Arm nahm. Mir fiel ein, daß er und der Künstlerartige manchmal gespielt hatten, sie seien halb verblödete Spießbürger, die alles, was sowieso schon klar war, noch einmal stolz und mit erhobenem Zeigefinger sagten. Jetzt, nachdem er feierlich festgestellt hatte, es gebe zu viele Menschen, kam mir der Verdacht, er mache sich lustig über mich. Denn im Grunde fand ich es ja auch, es gab zu viele Menschen, die in allen Richtungen wimmelten wie eine Naturkatastrophe, wie der Koloradokäfer in einem Kartoffelfeld. Deshalb fragte ich ihn etwas betupft: »Trotzdem, was wird aus Ihnen?«
Du mußt wissen, daß ich ihn immer siezte. Während er mich immer duzte. Ich hätte ihn nie zu duzen gewagt. Und er, der allen Sie sagte, seiner ersten Frau, seinen Eltern, seinen Freunden, und der in Gesellschaft nie der dummen, hochnäsigen Sitte folgte, nach der sich gleichgestellte Leute von der ersten Begegnung an duzten, um zu zeigen, daß sie alle zur sogenannten Oberschicht gehörten, gerade dieser Mensch duzte mich dauernd. Darüber sprachen wir nicht, es war zwischen uns einfach die Regel.
Er nahm sich die Brille ab, zog aus der Zigarrentasche ein sauberes Taschentuch hervor und putzte sorglich die Gläser. Als die Brille wieder auf seiner Nase saß, blickte er in Richtung der Brücke, wo die lange Menschenschlange kroch. Und sagte ruhig: »Ich gehe weg, denn hier bin ich einer zuviel.«
Seine grauen Augen blickten aufmerksam, er zuckte mit keiner Wimper.
Aber er sagte es nicht überheblich. Sondern sachlich, wie ein Arzt. Ich fragte nicht weiter, denn er hätte auch auf der Folterbank nichts mehr gesagt, das wußte ich. Wir machten uns auf den Weg zur Brücke, und dort verabschiedeten wir uns wortlos. Er ging am Donauufer weiter, in Richtung des Krisztina-Viertels. Ich stellte mich wieder in die Reihe und rückte langsam gegen die Brücke vor. Ich habe ihn noch einmal gesehen, wie er ohne Hut, mit dem Regenmantel über dem Arm, langsam, aber zielbewußt dahinschritt, weißt du, wie jemand, der genau weiß, wohin er geht, nämlich ins Nichts. Danach wußte ich, daß ich ihn nie wiedersehen würde. Das ist irgendwie zum Wahnsinnigwerden, wenn man weiß, daß man jemanden nie mehr sehen wird.
Was er sagen wollte? … Vielleicht daß ein Mann nur so lange lebt, wie er eine Rolle hat. Nachher lebt er nicht mehr, sondern existiert bloß. Du kannst das nicht verstehen, denn du hast eine Rolle auf der Welt. Deine Rolle ist es, mich zu lieben. Na, jetzt habe ich es gesagt. Schau mich nicht so verschlagen an. Wenn uns jemand hörte, wie wir hier, in einem Hotelzimmer in Rom, miteinander plaudern, und es dämmert, du kommst gerade von der Bar, ich tanze um dich herum wie eine Odaliske, also, ein böser Mensch, der uns von draußen sähe, könnte glauben, wir hätten ein Gespräch unter Gaunern: Eine kleine Schlampe, die den Sprung in die Oberschicht geschafft hat, plaudert jetzt aus der Schule. Und der Liebhaber, ein Halbseidener, spitzt die Ohren, weil er wissen will, wie das Ding läuft bei den Herrschaften. So denkt man, so böse ist die Welt. Runzle nicht deine wunderschöne Stirn. Lach doch mal. Wir kennen ja die Wahrheit über uns. Du bist kein Halbseidener, sondern ein geborener Künstler und mein einziger Wohltäter, den ich anbete und der mir für den Rest dieses lausigen Lebens hilft. Zum Beispiel hilfst du mir, den Schmuck zu verkaufen, der mir von meinem bösen Mann geblieben ist. So gut und barmherzig bist du. Und ich bin keine kleine Schlampe, war es nicht einmal damals, als ich meinen Mann bestahl, wo ich konnte. Denn ich wollte nicht den Reichtum, sondern die Gerechtigkeit. Jetzt mußt du grinsen, was? Aber das wissen nur wir beide, du und ich.
Ja, nun, mein Gatte war eine andere Art Mensch. Ich blickte ihm nach, und mit einemmal stach mich die Neugier, ich hätte gern gewußt, wofür dieser Mensch lebte. Und warum er jetzt überflüssig geworden war und als Tuchfärber nach Australien ging oder nach Amerika als Spengler. War die Rolle, an die er geglaubt hatte, nicht eine lächerliche fixe Idee? Schau, ich lese keine Zeitungen. Höchstens wenn in großen Lettern verkündet wird, ein großes Tier sei umgebracht worden, oder das Filmsternchen lasse sich scheiden. Nur derartiges lese ich. Von der Politik verstehe ich nur so viel, daß keiner dem anderen traut und jeder posaunt, er wisse es besser. Ich schaute meinem Mann
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