Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
wäre das Leben zwischen den Menschen nie etwas anderes als eine Zwiesprache, die der Tod nur für die Länge eines Atemzugs unterbricht.
Und so fragte er auch nicht, wie ich lebte und mit wem, sondern bloß, ob ich schon gefüllte Oliven gegessen hätte.
Zuerst dachte ich, er sei verrückt geworden. Ich sah ihm lange in die Augen, in dieses forschende, graugrüne ernste Augenpaar. Und auch er sah mich an, so aufmerksam, als hinge unser beider Leben von meiner Antwort ab.
Ich dachte nach, weil ich nichts Unrichtiges sagen wollte. Dann antwortete ich, doch ja, ich hätte welche gegessen. In London, in Soho, in einem kleinen italienischen Restaurant, wohin mich der Grieche mitgenommen hatte. Den Griechen hingegen erwähnte ich nicht, ich dachte, es sei nicht nötig, im Zusammenhang mit den Oliven auch von ihm zu reden.
»Dann ist es gut«, sagte er erleichtert.
Ich fragte schüchtern, warum das gut sei.
Er sagte rasch und streng: »Weil man sie nicht mehr bekommt. Man bekommt in Budapest überhaupt keine Oliven mehr. Früher bekam man sie noch in der Innenstadt, im Delikatessengeschäft von …«, und er nannte den Namen. »Aber gefüllte Oliven hat es hierzulande noch nie gegeben. Das rührt daher, daß Napoleon nur bis Raab gelangt ist.«
Er nickte und zündete sich eine Zigarette an, als hätte er nichts mehr zu sagen. An der Wand tickte eine alte Wiener Pendeluhr. Darauf horchte ich. Und auf die fernen, dumpfen Detonationen, die wie das Rülpsen eines vollgefressenen wilden Tiers waren. Ich dachte, ich träume. Es war kein glücklicher Traum, und doch fühlte ich eine seltsame Ruhe. Wie auch später immer, wenn ich mit ihm zusammen war. Ich kann dir das gar nicht erklären. Ich war in seiner Gesellschaft nie glücklich. Manchmal haßte ich ihn, er machte mich oft wütend. Aber es war mir auch nie langweilig mit ihm. Ich war weder unruhig noch ungeduldig. Es war ein Gefühl, wie wenn man beengende Kleider auszieht oder überhaupt alles, worauf man dressiert ist. Ich war einfach ruhig. Es folgten die wahnsinnigsten Wochen des Kriegs, und doch war ich nie so ruhig und zufrieden wie in jener Zeit.
Manchmal dachte ich sogar, wie schade, daß ich nicht seine Geliebte bin. Nicht daß ich mich danach gesehnt hätte, mit ihm ins Bett zu gehen. Er war schon alt, hatte gelbe Zähne und Tränensäcke unter den Augen. Ich dachte auch, er sei impotent, deshalb sehe er mich nicht an, wie man eine Frau ansehen sollte. Oder daß er nicht Frauen brauchte. Ich weiß nicht, ich kann nur sagen, daß er sich nicht um mich kümmerte.
Von den Oliven sagte er dann noch: »In Budapest hat es, auch zur friedlichsten Friedenszeit, immer nur die kleinen, verschrumpelten schwarzen Oliven zu kaufen gegeben. Ohne Füllung. Na gut, auch in Italien bekam man die gefüllten nicht überall.«
Er schob sich die Brille auf die Stirn und sagte mit erhobenem Zeigefinger: »Eigentlich seltsam. Die echten, duftenden Oliven mit der säuerlich und weich zerfallenden Paprikafüllung bekam man nur in Paris zu Ende der zwanziger Jahre, im Ternes-Viertel, an der Ecke der Rue Saint-Ferdinand, in einem italienischen Delikatessengeschäft.« Nachdem er alles gesagt hatte, was man in diesem Entwicklungsstadium der Menschheit über die gefüllten Oliven wissen konnte, verstummte er zufrieden und strich sich mit einer Hand über die Glatze.
Na, dem sind die Sicherungen durchgebrannt, so dachte ich. Ich sah ihn betroffen an. Saß hier auf dem Burghügel unter den Bomben, in der Gesellschaft eines Verrückten, der einmal der Freund meines Mannes gewesen war. Und fühlte mich gar nicht schlecht dabei.
Ich fragte ihn sachte, warum er meine, daß es für meine nähere oder fernere Zukunft von Vorteil sei, daß ich einst in Soho tatsächlich gefüllte Oliven gegessen hatte.
Er hörte sich die Frage mit seitwärts geneigtem Kopf an, dachte nach und sagte dann freundlich und geduldig: »Weil es aus ist mit der Kultur. Mit allem, was zur Kultur gehört hat. Die Oliven waren nur ein kleiner Beigeschmack. Doch die vielen kleinen Geschmäcker und Köstlichkeiten ergaben zusammen den Saft und die Kraft jenes wunderbaren Gerichts, das man Kultur nennt. Das alles geht jetzt zugrunde«, sagte er und hob die Arme wie ein Dirigent, der ein Fortissimo befiehlt. »Es geht zugrunde, selbst wenn die Bestandteile übrigbleiben. Es kann ja sein, daß auch in Zukunft irgendwo gefüllte Oliven verkauft werden. Aber die Art Mensch, die diese Kultur im Bewußtsein hatte, geht
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