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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Es hieß, sie habe sich umgebracht. Aber niemand wußte, warum die reiche, schöne Frau Selbstmord begangen haben sollte. Sie hatte eine schöne Wohnung, sie ging auf Reisen, war selten unter Leuten, lebte diskret. Ich habe ihr ein bißchen nachgeforscht, wie eine Frau das tut, wenn sie über einen Mann mit einer anderen Frau verbunden ist. Aber ich konnte nichts Sicheres herausbringen.
    Doch über solche plötzlichen Tode weiß ich trotzdem etwas. Ich glaube den Ärzten nicht, auch wenn ich gleich zu ihnen laufe, es genügt, daß ich mich in den kleinen Finger geschnitten habe oder mir der Hals weh tut. Und doch glaube ich ihnen nicht, denn es gibt etwas, das nur wir Kranken wissen. Ich weiß zum Beispiel, daß der plötzliche Tod, wenn es keinerlei Vorzeichen gibt, wenn jemand kerngesund ist, trotzdem nicht unmöglich ist. Mein komischer Freund, der Schriftsteller und Quacksalber, wußte etwas darüber. In der Zeit, als ich ihn kennenlernte, fühlte ich mich manchmal so seltsam. Ich dachte fortwährend, na, jetzt ist Schluß, ich sterbe. Ich begegnete dem Glatzkopf in einem Schutzraum in Buda, abends um sechs, ganz unerwartet. Viele Hunderte von Menschen drängten sich in dem Felsengewölbe.
    Es war wie eine Wallfahrt, wenn sich das Volk in Höhlen versammelt und Litaneien singt, weil in der Stadt die Pest wütet. Er erkannte mich und winkte mir zu, ich solle mich neben ihn setzen. Ich saß also neben ihm und horchte auf die fernen, dumpfen Explosionen. Allmählich dämmerte mir, daß das der Mensch war, zu dem mich mein Mann geschickt hatte, zwecks Untersuchung. Nach einer Weile sagte er, ich solle aufstehen und mit ihm gehen.
    Die Entwarnung war noch nicht gegeben worden, die enge Gasse auf der Burg war leer, wir spazierten in Todesstille. Wir gelangten zu der alten Konditorei, du kennst sie ja, das hundertjährige Lokal mit dem vornehmen Mobiliar. Hier traten wir ein.
    Es war gespenstisch, wie ein Rendezvous im Jenseits. Die Besitzer der Konditorei und die Verkäuferin waren beim ersten Sirenenton in den Keller gerannt. Wir waren allein zwischen den Mahagonimöbeln, dem mit Tüll zugedeckten Kriegsgebäck, den verwelkten Cremeschnitten und den vertrockneten Meringen, den auf Glasregalen stehenden Flaschen mit Vanillelikör. Es war niemand da, niemand antwortete auf unseren Gruß.
    Wir setzten uns und warteten. Sprachen aber noch immer nichts. Weit weg, auf der Seite von Pest, krachten die Fliegerabwehrkanonen, und die amerikanischen Bomben fielen mit dumpfem Dröhnen auf die Stadt. Eine schwarze Rauchwolke zog über die Burg, denn die Bomben hatten am anderen Ufer ein Öllager getroffen. Aber auch darauf achteten wir nicht.
    Er spielte den Gastgeber, als wäre er zu Hause. Schenkte Likör in zwei Gläschen ein, plazierte auf einem Teller Nuß- und Cremeschnitten. Er bewegte sich so vertraut in der alten Konditorei, als wäre er hier ein Stammgast. Als er die Dinge vor mich hinstellte, fragte ich, ob er oft hierherkäme.
    »Ich?« sagte er erstaunt, in der Hand das Likörglas. »Aber nein. Ich war vielleicht vor dreißig Jahren, zu meiner Studentenzeit, das letztemal hier. Nein«, sagte er bestimmt und blickte kopfschüttelnd um sich, »ich erinnere mich nicht genau, wann ich hier gewesen bin.«
    Wir stießen an, aßen das Gebäck und plauderten. Als nach der Entwarnung die alte Besitzerin und die Verkäuferin aus dem Keller auftauchten, waren wir schon mitten in einer vertraulichen Unterhaltung. So begann unsere Bekanntschaft neu.
    Ich war nicht überrascht von dieser Natürlichkeit. Auch später überraschte mich nichts, wenn ich bei ihm war. Er hätte sich splitternackt ausziehen und zu singen beginnen können wie die religiösen Spinner auf der Straße, auch das hätte mich nicht überrascht. Oder eines Tages mit Vollbart daherkommen und sagen, er sei eben auf dem Sinai gewesen und hätte mit dem Herrgott geredet, oder was immer ihm sonst noch eingefallen wäre, ich hätte in keinem Fall gestaunt.
    Und so überraschte es mich auch nicht, daß er mich nicht beim Namen nannte und meinen Mann mit keinem Wort erwähnte. Er machte sich in der leeren Konditorei zu schaffen, und jedes Wort schien überflüssig, als wisse man das Wesentliche sowieso. Als wäre nichts langweiliger und unnötiger als der Versuch, einander zu erzählen, wer und was man war. Oder daß man die alten Geschichten kannte, zum Beispiel die Geschichte von der verstorbenen Frau. Oder die Geschichte unserer ersten Begegnung. Wir redeten, als

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