Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
verdünnt einnehmen durfte.
Worüber wir sprachen, fragst du. Ich versuche mich zu erinnern, was er zuweilen sagte. Nicht viel jedenfalls.
Einmal, während eines Bombenangriffs, als sich die Stadtbevölkerung in den Kellern duckte und auf den Tod wartete, sprach er davon, daß die Erde und die Menschen aus dem gleichen Stoff seien. Und er las die Formel vor, irgendwie fünfunddreißig harte und fünfundsechzig flüssige Stoffe. Er hatte es aus einem Schweizer Buch. Das fand er ganz toll. Er sprach so zufrieden, als wäre damit alles in Ordnung. Ringsum stürzten die Häuser ein, die Menschen rannten schreiend von einem Versteck zum anderen, aber das kümmerte ihn nicht. Er erzählte von einem Deutschen, der vor langer Zeit gelebt hat, vor hundert Jahren oder noch mehr. Es gibt hier in Rom ein Café, wo wir letzthin gesessen haben, das Greco, da habe der Deutsche verkehrt. Zerbrich dir nicht den Kopf, ich weiß seinen Namen auch nicht mehr. Der Glatzkopf sagte, dieser Deutsche habe geglaubt, die Pflanzen und die Tiere und die ganze Erde seien nach dem gleichen Muster gemacht. Verstehst du das? In jenen Wochen, als Budapest bombardiert wurde, las er so fieberhaft, als hätte er bis dahin etwas Wichtiges verpaßt. Als hätte er sein Leben lang auf der faulen Haut gelegen, und jetzt könnte er das Verpaßte nicht mehr nachholen, zum Beispiel das Geheimnis nicht erfahren, wie die Welt funktioniert. Und ich saß still in einer Ecke, sah ihm zu und lachte ihn aus. Er achtete nicht darauf, kümmerte sich um mich nicht mehr als um die Bomben.
Dieser Mann sagte mir immer Sie. Er war der einzige aus der Welt meines Mannes, aus der sogenannten Oberschicht, der mich auch in vertraulichen Situationen nicht duzte. Was sagst du? Dann sei er kein richtiger Gentleman gewesen? Er sei bloß ein Schriftsteller gewesen und kein Gentleman … Was bist du für ein Kluger. Du hast vielleicht recht, vielleicht gehörte er gar nicht wirklich zur Oberschicht, denn er sprach immer respektvoll zu mir. Als ich noch Dienstmädchen war, hat mich mein Mann einmal zu ihm geschickt, damit er mich anschaute und prüfte. Ich ging hin, brav wie ein Lamm. So wie noch früher zu jenem Arzt, zu dem mich seine Familie geschickt hatte, weil sie sicher sein wollten, daß das neue Dienstmädchen nicht etwas einschleppte. Damals war für meinen Mann der Glatzköpfige der Arzt, bloß ging es nicht um meinen Körper, sondern um etwas anderes, darum, wie ich innen war. Der Schriftsteller war einverstanden, mich zu untersuchen, aber er empfing mich ziemlich verdrossen. Irgendwie verachtete er diese ganze Angelegenheit, diesen Seelenklinik-Stumpfsinn, auf den mein Mann in seiner Verlegenheit gekommen war. Er brummte etwas, als er mir öffnete, und dann mußte ich mich setzen, und er sagte nicht viel, sondern schaute mich bloß an.
Er sah die Personen, mit denen er sprach, sowieso nie an, sondern blickte immer anderswohin. Wie jemand, der ein schlechtes Gewissen hat und den direkten Blick meidet. Doch dann blitzten seine Augen plötzlich auf, und dann spürte man, daß dieser Mensch einen jetzt anschaute, einen persönlich. Und ganz stark. Man konnte sich seinem Blick nicht entziehen. Man konnte nichts machen, weder irgendwie hüsteln noch auf dem Sitz rumrutschen oder gleichgültig tun. Er schaute, wie wenn man berührt und in Besitz genommen wird. Wie ein Arzt, der sich mit dem Skalpell in der Hand über den Kranken beugt und gleich darauf mit eigenen Augen die Leber oder die Nieren sehen wird. Er schaute nicht oft so. Und nie lange. Offenbar vermochte er diesem Blick nur kurze Zeit Strom zu geben. Doch damals betrachtete er mich auf diese Art, mich, die fleischgewordene fixe Idee seines Freundes. Dann wandte er sich ab, und in seinen Augen erlosch der Strom. Er sagte: »Sie können gehen, Judit Áldozó.«
Ich bin gegangen. Und habe ihn dann zehn Jahre nicht wieder gesehen. Mein Mann und er trafen sich damals nicht mehr.
Ich habe nie etwas Genaues erfahren, aber ich vermute, daß dieser Mensch etwas mit der ersten Frau meines Mannes hatte. Als sie geschieden waren, reiste die Frau nach Rom. Eine Zeitlang lebte sie hier. Dann kehrte sie nach Budapest zurück und lebte dort ganz still, niemand hörte von ihr. Ein paar Monate vor Kriegsausbruch ist sie gestorben. Ganz plötzlich. Ein Blutpfropf stieg ihr ins Herz, und sie fiel tot um. Später hat man allerlei getratscht, wie das üblich ist, wenn ein noch junges Geschöpf stirbt, dem augenscheinlich nichts fehlt.
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