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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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zugrunde. Man wird nur noch Kenntnisse haben, und das ist nicht das gleiche. Die Kultur ist ein Erlebnis. Ein konstantes Erlebnis wie der Sonnenschein. Kenntnisse sind bloß eine Zulage.« Er zuckte mit den Achseln. Und sagte dann höflich: »Deshalb freue ich mich, daß wenigstens Sie noch die Oliven gegessen haben.«
    Und wie ein Punkt hinter seinem Satz erschütterte eine nahe Explosion das Haus. »Zahlen«, sagte er und stand auf, als hätte ihn der Riesenknall daran erinnert, daß es noch anderes zu tun gab als das Begraben der Kultur.
    Er ließ mich höflich vorangehen, und wir stiegen vom menschenleeren Burghügel hinunter. Wir gingen direkt zu seiner Wohnung. Über die schöne Brücke, die ein paar Monate später gebrochen im Wasser lag. Schon da hingen an den Ketten der Brücke die Sprengstoffladungen, denn die Deutschen hatten sich gründlich vorbereitet.
    Er betrachtete die Packungen mit gelassenem Expertenblick, als interessiere ihn nur ihre richtige Plazierung. »Auch das geht drauf«, sagte er mitten auf der Brücke und zeigte auf die riesigen Eisenbänder, die stumm und mit dem Schwung ihres Gewichts die mächtige Brücke trugen. »Geht komplett drauf. Warum, fragen Sie? Es ist doch so«, sagte er rasch, als antwortete er sich selbst, »daß alles eintritt, worauf man sich lange vorbereitet. Die Deutschen verstehen sich hervorragend auf Sprengungen«, sagte er anerkennend. »Niemand sprengt Brücken so perfekt wie sie. Also werden sie auch die Kettenbrücke sprengen und dann der Reihe nach alle anderen Brücken, so wie sie Warschau und Stalingrad in die Luft gesprengt haben.«
    »Aber das ist ja furchtbar«, sagte ich unwillkürlich erschüttert. »Unsere schönen Brücken …«
    Aber ich konnte den Satz nicht beenden.
    »Furchtbar?« fragte er mit gedehnter Stimme und schaute mich von oben an. Er war groß, einen Kopf größer als ich. Möwen kreisten um die Bögen der Brücke, sonst war kein Lebewesen da, in dieser gefährlichen Dämmerstunde.
    Er schien überrascht, daß ich erschüttert war.
    »Warum?« fragte ich gereizt. »Tun Ihnen die Brücken nicht leid? Und die Menschen? Und alles, was zugrunde geht?«
    »Mir?« fragte er wieder mit der gedehnten Stimme, als sei er von meiner Frage überrascht. »Aber wie denn«, sagte er, plötzlich in Schwung gekommen, »mir würden die Brücken, die Menschen nicht leid tun? Na so etwas. Ausgerechnet mir nicht!« sagte er und schüttelte mit einem seltsamen Lächeln den Kopf, als würde ihn eine derart absurde Annahme amüsieren. »Nie, verstehen Sie«, und er beugte sich nah zu meinem Gesicht und blickte mir in die Augen wie ein Hypnotiseur, »nie habe ich mich mit anderem beschäftigt als damit, daß mir die Brücken und die Menschen leid taten.«
    So sagte er, schwer atmend, als wäre er verletzt und müßte die Tränen zurückhalten.
    Ein Schauspieler, dachte ich plötzlich. Ein Komödiant, ein Clown. Doch dann sah ich in seine Augen und stellte erstaunt fest, daß sie tatsächlich feucht waren. Ich konnte es nicht glauben. Aber es gab keinen Zweifel, dieser Mensch weinte. Die Tränen liefen ihm herunter.
    Und er schämte sich nicht dafür. Achtete gar nicht darauf. Als ob seine Augen separat weinten, unabhängig von seinem Willen.
    »Arme Brücke«, murmelte er, als wäre ich gar nicht da. »Arme, schöne Brücke. Und arme Menschen. Arme, arme Menschheit!«
    So redete er. Wir standen reglos. Dann trocknete er die Augen mit seinem Handrücken, rieb ihn an seinem Mantel ab und zog die Nase hoch. Er schaute wieder auf die Sprengstoffladungen, diesmal kopfschüttelnd, als wäre da eine Unordnung, als wäre die arme Menschheit eine Bande von Lausejungen, die er, der Schriftsteller, weder mit guten Worten noch mit dem Rohrstock zu Zucht und Ordnung bringen konnte.
    »Ja, das alles geht drauf«, sagte er seufzend, aber auch mit einer merkwürdigen Befriedigung in der Stimme, als liefe alles plangemäß ab. Als hätte er mit Papier und Bleistift schon vorausberechnet, daß gewisse menschliche Neigungen unweigerlich bestimmte Konsequenzen haben, so daß er jetzt, zwar schluchzend, im Grunde seines Herzens zufrieden war, daß seine Berechnungen stimmten.
    »Na«, sagte er, »gehen wir nach Hause.«
    So sagte er es, in der Mehrzahl. Als hätten wir das schon abgemacht. Und weißt du, was das Seltsamste war? Auch ich hatte das Gefühl, daß wir alles schon besprochen hatten, alles, was wesentlich war und uns beide betraf, als hätten wir uns nach einer langen

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