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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Diskussion geeinigt. Worüber? Zum Beispiel darüber, daß ich seine Geliebte würde, oder vielleicht auch darüber, daß er mich als Dienstmädchen anstellte. Wir machten uns wortlos auf den Weg »nach Hause«, über die todgeweihte Brücke. Er ging rasch, und ich gab mir Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Unterwegs würdigte er mich keines Blickes, als hätte er vergessen, daß ich da war. Ich hätte auch ein Hund sein können, der hinter ihm hertrabte. Oder eine Hausangestellte, die ihren Herrn bei einer Erledigung begleitet. Und ich preßte mir die Tasche, in der ich Lippenstift, Puder und Lebensmittelkarten hatte, auf die gleiche Art an den Körper wie viele Jahre zuvor, als ich nach Budapest aufgebrochen war, um eine Anstellung zu suchen.
    Und wie wir so dahintrabten, wurde ich auf einmal ruhig. Weißt du, damals war ich für die Welt schon lange eine Dame. Sogar die Nase schneuzte ich mir so vornehm, als sei ich auf einer Gardenparty im Buckingham Palace. Manchmal kam mir in den Sinn, daß mein Vater nie ein Taschentuch benutzt hatte. Weil er keins besaß. Er schneuzte sich mit Hilfe von zwei Fingern, die er dann an seinem Hosenbein abwischte. Auch ich, als ich in die Stadt kam, schneuzte mich so. Doch jetzt, als ich an der Seite dieses Mannes ging, wurde es mir auf einmal leichter ums Herz, wie einem Menschen, der sich nach anstrengenden, überflüssigen Kunststücken endlich ausruhen darf. Denn ich war sicher: Wenn ich jetzt, vor der Statue Széchényis, niesen mußte, so würde ich mich bestimmt mit zwei Fingern schneuzen und sie dann am feinen Shantung meines Rocks abwischen, und dieser Mensch würde das nicht einmal beachten. Oder wenn er in dem Augenblick zufällig herschaute, so wäre er nicht empört und würde mich nicht verachten, sondern würde mich mit Interesse beobachten, wie ein damenhaft gekleidetes weibliches Wesen auf Bauernart die Nase schneuzte. Und darin war etwas Beruhigendes.
    Wir gingen in seine Wohnung hinauf. Als er die Tür öffnete und mich in den dunklen, nach Kampfer riechenden Flur treten ließ, fühlte ich die gleiche Ruhe wie vor vielen Jahren, als ich von der Puszta nach Budapest gekommen war und bei den Eltern meines Exmannes eine Anstellung fand. Ich war ruhig, denn ich hatte in der wilden, gefährlichen Welt endlich ein Dach über dem Kopf gefunden.
    Und dort blieb ich dann auch, blieb gleich über Nacht. Ich schlief sofort ein. Spät in der Nacht erwachte ich und hatte das Gefühl, ich müsse sterben.
    Nein, es war kein Herzanfall, mein Schatz. Na ja, das war es auch, aber auch etwas anderes. Es tat mir nichts weh. Ich fühlte mich auch nicht beengt. Eine wohlige Ruhe durchströmte meinen ganzen Körper, die Ruhe des Todes. Ich hatte das Gefühl, in meiner Brust habe der Apparat zu ticken aufgehört, die Feder sei gebrochen. Meinem Herzen war mit einemmal die Schufterei verleidet, es schlug nicht mehr.
    Als ich die Augen aufmachte, sah ich, daß er neben dem Sofa stand, mein Handgelenk festhielt und nach meinem Puls tastete.
    Aber das tat er anders als die Ärzte. Er tastete nach meinem Puls, wie ein Musiker die Saiten seines Instruments prüft oder ein Bildhauer eine Skulptur berührt. Er tastete mit allen fünf Fingern nach dem Puls. Ich hatte das Gefühl, jeder Finger rede separat mit meiner Haut, mit meinem Blut und durch alles hindurch mit meinem Herzen. Er tastete wie jemand, der im Dunkeln sieht. Wie die Blinden, die mit den Händen sehen.
    Er war noch vollständig angezogen. Es war schon Mitternacht vorbei. Er fragte nichts. Sein verbliebenes Haar um die Glatze herum war zerzaust. Im Nebenzimmer brannte das Licht. Offensichtlich hatte er dort gesessen und gelesen, während ich schlief und dann auf einmal im Sterben lag. Jetzt begann er plötzlich hin und her zu laufen. Er holte eine Zitrone, preßte sie aus, mischte Puderzucker in den Saft und gab mir das süßsaure Gemisch zu trinken. Dann kochte er in einer kleinen Messingpfanne einen ganz starken türkischen Kaffee. Er ließ zwanzig Tropfen einer Medizin in ein Glas Wasser tropfen, und auch das mußte ich trinken.
    Wieder heulten die Sirenen, aber wir achteten nicht darauf. Er ging nur in den Schutzraum, wenn ihn ein Bombenangriff auf der Straße überraschte und ein Polizist die Leute in die Keller hinuntertrieb. Sonst blieb er in der Wohnung und las. Er las gern in solchen Momenten, denn er sagte, endlich sei es still in der Stadt. Still, tatsächlich, wie im Jenseits. Die Straßenbahnen und Autos fuhren nicht,

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