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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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beobachtete die Tanzenden. Ich hatte ihn lange nicht mehr gesehen, und jetzt war er so merkwürdig fremd … Ich spürte um ihn herum eine Einsamkeit, als lebte dieser Mensch am Nordpol. Einsamkeit und Ruhe, traurige Ruhe. Mir wurde klar, daß dieser Mann nichts mehr wollte, weder das Glück noch den Erfolg, ja, vielleicht wollte er nicht einmal mehr schreiben, sondern nur noch die Welt kennen und verstehen, nur die Wahrheit … Er war kahlköpfig und hatte immer etwas Höflich-Gelangweiltes an sich. Er war aber auch wie ein buddhistischer Mönch, der die Welt betrachtet, mit schräg stehenden Augen, unergründlich.
    Nachdem wir den Kaffee getrunken hatten, sagte er: »Fürchten Sie die Aufrichtigkeit?«
    »Ich fürchte nichts«, sagte ich.
    »Hören Sie her«, sagte er entschlossen und hart. »Niemand hat ein Recht, sich ins Leben anderer zu mischen. Auch ich nicht. Aber Péter ist mein Freund. Nicht nur im billigen Sinn des Wortes, wie man es achtlos anwendet. Mir stehen nur sehr wenige Menschen nahe. Dieser Mensch, Ihr Mann, bewahrt für mich das Geheimnis und den Zauber unserer Jugend. Und jetzt will ich Ihnen etwas sagen. Es klingt ein bißchen dramatisch.«
    Ich saß starr und weiß wie die Marmorstatue der guten Fürstin eines Kleinstaats. »Sagen Sie’s«, bat ich.
    »Um es ordinär zu sagen: Hände weg!«
    »Ziemlich ordinär, in der Tat«, sagte ich. »Aber ich verstehe es nicht. Hände weg wovon?«
    »Von Péter, vom violetten Band und von der, die es getragen hat. Verstehen Sie jetzt? Ich sage es wie im Film. Hände weg … Sie wissen nicht, woran Sie rühren. Es begann schon zu verheilen, das, woran Sie jetzt rühren wollen, es ist schon geronnen, eine feine Haut liegt schon darüber. Seit fünf Jahren beobachte ich Ihrer beider Leben, beobachte diesen Heilungsprozeß. Sie wollen jetzt an diese Wunde rühren. Aber ich warne Sie, wenn Sie sie aufreißen, wenn Sie mit dem Fingernagel daran kratzen, beginnt sie wieder zu bluten … Es könnte etwas in ihm verbluten. Oder jemand.«
    »So gefährlich ist es?« fragte ich und blickte auf die Tanzenden.
    »Ich glaube schon«, sagte er bedächtig und vorsichtig. »Es ist gefährlich.«
    »Dann muß man es tun«, sagte ich.
    In meiner Stimme war etwas, ein heiserer Klang, ein Zittern.
    Er griff nach meiner Hand. »Ertragen Sie es«, sagte er flehend und mit großer Wärme.
    »Nein«, sagte ich. »Ich ertrage es nicht. Seit fünf Jahren werde ich betrogen. Mein Los ist schlechter als das Los der Frauen, deren Männer Schürzenjäger sind. Seit fünf Jahren schlage ich mich mit jemandem herum, der kein Gesicht hat und doch in unserer Wohnung lebt wie ein Gespenst. Davon habe ich jetzt genug. Ich kann nicht gegen Gefühle kämpfen. Lieber soll meine Gegnerin aus Fleisch und Blut bestehen, statt ein Wahnbild zu sein … Sie haben einmal gesagt, die Wirklichkeit sei immer einfacher.«
    »Ja«, sagte er begütigend, »und unendlich gefährlich.«
    »Dann soll sie eben gefährlich sein«, sagte ich. »Was kann mir Schlimmeres passieren als die Tatsache, daß ich mit jemandem lebe, der mir nicht gehört? Der ein Geheimnis hütet und mich benutzt, um eine Erinnerung und ein Gefühl loszuwerden, und das auch nur, weil diese Erinnerung und dieses Gefühl und diese Sehnsucht seiner nicht würdig sind … Sie haben das vorhin so gesagt, oder? Dann soll er zu dieser unwürdigen Sehnsucht stehen. Soll er sich zu ihr herablassen, seinen Rang und seine Würde aufgeben.«
    »Das ist unmöglich«, sagte er heiser und aufgeregt. »Er geht daran zugrunde.«
    »Wir gehen auch so daran zugrunde«, sagte ich ruhig. »Schon das Kind ist daran zugrunde gegangen. Jetzt bin ich wie eine Schlafwandlerin. Ich gehe sicheren Schrittes auf etwas zu, an der Grenze zwischen Leben und Tod. Stören Sie mich nicht, rufen Sie nicht, sonst falle ich hinunter … Wenn Sie können, helfen Sie mir. Ich habe einen Mann geheiratet, weil ich ihn liebe. Ich dachte, er liebe mich auch. Seit fünf Jahren lebe ich mit einem Menschen, der mir sein Herz nicht ganz schenkt. Ich habe alles getan, damit er zu mir kommt. Ich habe mich bemüht, ihn zu verstehen. Habe mich mit unmöglichen Erklärungen zu beruhigen versucht. Er ist ein Mann, habe ich mir gesagt, und also stolz. Und: Er ist ein Bürger, und also einsam. Aber das sind alles Lügen. Dann habe ich versucht, ihn mit dem stärksten menschlichen Band, mit dem Kind, an mich zu binden. Das ist nicht gelungen. Warum nicht? Wissen Sie es? Das Schicksal? Oder noch

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