Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
zuckte mit den Achseln und schaute mich lange an, forschend und traurig. »Vielleicht«, sagte er. »Im allgemeinen traue ich den Menschen alles zu, wenn sie ihren Instinkten freien Lauf lassen. Alles Schlechte und alles Wunderbare … Ich glaube durchaus, daß Sie unter Millionen von Menschen die Person finden werden, die dann wie ein Kurzwellensender dem andern auf Ihren Ruf antworten wird. Dabei ist nichts Mystisches. Es ist der Kontakt starker Gefühle … Aber dann? Was ist dann?«
»Dann?« fragte ich unsicher. »Dann ist die Situation klarer. Ich muß sie sehen, sie prüfen … Und wenn sie es wirklich ist …«
»Sie? Wer?« fragte er ungeduldig.
»Na eben: sie«, erwiderte ich genauso ungeduldig. »Die andere, die Gegnerin … Wenn sie es wirklich ist, derentwegen ich nicht glücklich sein kann, wenn sie der Grund ist, daß mein Mann nicht ganz zu mir gehört, weil er an eine Sehnsucht, eine Erinnerung, eine sentimentale Illusion gebunden ist … nun, dann überlasse ich die beiden eben ihrem Schicksal.«
»Auch wenn das für Péter fatal ist?«
»Soll er es ertragen«, sagte ich zornig, »wenn das seine Fatalität ist.«
Wir standen jetzt in der Tür zum großen Saal. Er sagte noch: »Er hat alles getan, um es zu ertragen. Sie wissen nicht, mit welcher Anstrengung dieser Mensch in den letzten Jahren gelebt hat. Mit der Kraft, die er aufgewendet hat, um die Erinnerung zu verdrängen, könnte man Berge versetzen. Ich glaube das zu wissen. Zuweilen habe ich ihn bewundert. Er hat das Schwerste versucht, das ein Mensch im Leben versuchen kann. Wissen Sie, was er getan hat? Er hat mit dem Verstand ein Gefühl abtöten wollen. So wie wenn jemand mit Hilfe von Wörtern und Prinzipien ein Stück Dynamit überredet, nicht zu explodieren.«
»Nein«, sagte ich verwirrt. »Das ist unmöglich.«
»Fast unmöglich«, sagte er ruhig und ernst. »Und dieser Mensch hat es trotzdem versucht. Warum? … Um seine Seele zu retten. Um seine Selbstachtung zu retten, ohne die ein Mann nicht leben kann. Und er hat es auch für Sie getan, und dann auch noch, mit all seiner verbleibenden Kraft, für das Kind … Denn er liebt auch Sie, ich hoffe, Sie wissen das.«
»Ja«, sagte ich. »Sonst würde ich nicht so sehr um ihn kämpfen. Aber er liebt mich nicht ganz, nicht bedingungslos. Zwischen uns steht jemand. Entweder ich verjage diesen Jemand, oder ich selbst gehe. Ist sie denn tatsächlich so stark, so angsteinflößend, die Frau mit dem violetten Band?«
»Wenn Sie sie finden«, sagte er und blickte mit müde zwinkernden Augen in die Ferne, »werden Sie staunen. Sie werden staunen, wieviel einfacher die Wirklichkeit ist, als Sie meinen, wieviel banaler, gewöhnlicher, und gleichzeitig wie bizarr und gefährlich.«
»Und Sie wollen ihren Namen um keinen Preis verraten?«
Er schwieg. Man merkte ihm an, daß er unruhig und unschlüssig war. »Gehen Sie gern zu Ihrer Schwiegermutter?« fragte er plötzlich.
»Zu meiner Schwiegermutter?« Ich war verblüfft. »Ja, natürlich. Aber was hat das mit alldem zu tun?«
»Péter ist jedenfalls auch bei seiner Mutter zu Hause«, sagte er verlegen. »Wenn man etwas finden will, sollte man zunächst im Haus nach Spuren suchen … Das Leben arrangiert die Dinge manchmal genauso lässig wie in einem Kriminalroman … Sie wissen doch, die Polizei sucht fieberhaft auf allen Seiten nach Tatspuren, stochert mit Hutnadeln in den Ritzen der Wand herum, während der gesuchte Brief die ganze Zeit vor ihrer Nase auf dem Schreibtisch liegt. Aber das merkt niemand.«
»Soll ich Péters Mutter nach der Frau mit dem violetten Band fragen?« Ich war immer ratloser.
»Ich kann nur sagen«, antwortete er vorsichtig und ohne mich anzublicken, »daß Sie sich, bevor Sie in die Welt hinausziehen, um Péters Geheimnis zu ergründen, zuerst in Péters anderem Zuhause, in der Wohnung seiner Mutter, umsehen sollten. Bestimmt finden Sie dort irgend etwas, das Ihnen die Richtung weist. Das Elternhaus ist immer auch ein wenig der Tatort. Dort ist alles beisammen, was einen Menschen betrifft.«
»Danke«, sagte ich. »Morgen früh will ich zu meiner Schwiegermutter gehen und mich dort umsehen … Bloß weiß ich noch nicht, was ich dort suchen soll.«
»Sie haben es so gewollt«, sagte er, wie um die Verantwortung von sich zu weisen.
Die Musik wurde lauter, und wir traten in den Saal, zwischen die Tänzer. Männer sprachen mich an, und nach einer Weile nahm mich mein Mann am Arm und führte mich hinaus.
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