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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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etwas anderes? … Sie sind der Schriftsteller, der Weise, der Komplize, der Augenzeuge von Péters Leben. Warum schweigen Sie jetzt? Manchmal denke ich, Sie seien an allem beteiligt, was geschehen ist. Sie haben Macht über Péters Seele.«
    »Ich hatte sie nur«, sagte er. »Ich habe diese Macht teilen müssen. Teilen auch Sie. So kommen vielleicht alle davon«, sagte er entmutigt und verwirrt.
    Ich hatte diesen einsamen, selbstsicheren Mann noch nie so unschlüssig gesehen. Der buddhistische Mönch war jetzt ein ganz gewöhnlicher Mensch, der sich am liebsten davongemacht hätte, um nicht auf peinliche und gefährliche Fragen antworten zu müssen. Ich ließ ihn aber nicht mehr los.
    »Sie wissen am besten, daß man in der Liebe nicht teilen kann«, sagte ich.
    »Das ist ein Gemeinplatz«, sagte er verstimmt und zündete sich eine Zigarette an. »Man kann alles. Gerade in der Liebe kann man alles.«
    »Was bleibt mir vom Leben, wenn ich teile?« fragte ich so leidenschaftlich, daß ich über meine eigene Stimme erschrak. »Eine Wohnung? Eine gesellschaftliche Stellung? Jemand, mit dem ich zu Mittag und zu Abend esse, der mir hin und wieder ein bißchen Zärtlichkeit schenkt, so wie man einem quengeligen, von Kopfschmerzen geplagten Kranken mit einem Löffel Wasser ein Delmagon eingibt? … Was meinen Sie, gibt es eine demütigendere, unmenschlichere Situation als so ein Halbleben? Ich brauche einen Menschen, und zwar ganz!« sagte ich laut.
    So deklamierte ich, verzweifelt, aber auch theatralisch. Die Leidenschaft hat immer etwas Theatralisches.
    Jemand ging durch den Wintergarten, ein Offizier … Er blieb stehen, blickte erschrocken zurück, ging dann rasch und kopfschüttelnd weiter.
    Ich schämte mich und fuhr leise flehend fort: »Einen Menschen, den ich mit niemandem teilen will. Ist das so unmöglich?«
    »Nein«, sagte er und musterte die Palme. »Bloß ist es sehr gefährlich.«
    »Und dieses Leben, das Leben, das wir führen, ist das nicht auch gefährlich? Was meinen Sie? Es ist lebensgefährlich«, sagte ich entschlossen, und jetzt, da ich das Wort ausgesprochen hatte, wurde ich bleich, denn ich fühlte, daß es stimmte.
    »Das ist eine Eigenheit des Lebens«, sagte er kühl und höflich, als wäre er wieder in seinem Element, aus der brodelnden Welt der Leidenschaften zurück in der kühleren, gemäßigteren Zone der Gedanken und der genauen Formulierungen, wo er die vertrauten, passenden Wörter wiederfand. »Das ist seine Eigenheit, daß es lebensgefährlich ist. Doch man kann mit der Gefahr auf verschiedene Weise umgehen: Gewisse Leute leben so, als schlenderten sie mit dem Spazierstock in der Hand über eine Ebene. Und andere leben so, als machten sie dauernd Kopfsprünge in den Atlantik. Man muß die Gefahren überleben«, sagte er ernst. »Das ist die schwierigste Aufgabe und manchmal das größte Heldentum.«
    Ein kleiner Springbrunnen plätscherte im Wintergarten; wir horchten auf den lauen, lebendigen Ton und hörten gleichzeitig den wilden Rhythmus der modischen, mondänen Musik.
    »Und ich weiß nicht einmal«, sagte ich nach einer Weile, »mit wem oder womit ich teilen muß. Mit einer Person? Oder mit einer Erinnerung?«
    »Das ist gleichgültig«, sagte er schulterzuckend. »Die Person ist eher eine Erinnerung als ein lebender Mensch. Sie will nichts. Bloß …«
    »Bloß gibt es sie«, sagte ich.
    »Ja«, sagte er.
    Ich stand auf. »Dann muß man eben Schluß machen«, sagte ich, während ich meine Handschuhe suchte.
    »Mit ihr? Mit der Person?« fragte er und erhob sich unwillig.
    »Mit der Person, mit der Erinnerung, mit diesem Leben«, sagte ich. »Können Sie mich zu dieser Frau führen?«
    »Nein, das tue ich nicht«, sagte er. Wir machten uns langsam auf den Weg, in Richtung der Tanzenden.
    »Dann finde ich sie eben selbst«, sagte ich entschlossen. »In dieser Stadt leben Millionen von Menschen und im ganzen Land noch viele Millionen mehr. Ich habe nichts in der Hand als diesen violetten Fetzen. Ich habe ihre Photographie nie gesehen und kenne ihren Namen nicht. Und doch weiß ich so sicher wie der Rutengänger, der auf der endlosen Ebene das Wasser in der Erde spürt, oder wie der Metallsucher, der auf seinem Spaziergang plötzlich stockt, weil er merkt, daß da im Boden Erze sind … so sicher weiß ich, daß ich sie finden werde, diesen Jemand, diese Erinnerung oder diese Person aus Fleisch und Blut, die nicht zuläßt, daß ich glücklich bin. Glauben Sie mir nicht?«
    Er

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