Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
einen Bus und fuhr, so wie es Lázár geraten hatte, zur Wohnung meiner Schwiegermutter.
Ich stellte mir vor, es sei bloß für einen kleinen Augenschein, einen unverfänglichen Besuch. Ich würde mich im Dunstkreis dieses reinen Lebens ein bißchen erholen, ein bißchen zu mir kommen aus dem schwülen Gefühlsgedränge, zu dem mein Leben geworden war, und vielleicht würde ich erzählen, was ich erfahren hatte, würde ein paar Tränen vergießen, würde um Zuspruch und Ermunterung bitten. Falls sie etwas von Péters Vergangenheit wußte, würde sie es schon sagen. Dachte ich. Ich saß im Bus, und die Wohnung meiner Schwiegermutter kam mir vor wie ein Höhenkurort, zu dem ich von einem dampfenden Sumpfland aufstieg. In dieser Stimmung klingelte ich an der Wohnungstür.
Meine Schwiegermutter wohnte in der Innenstadt, im zweiten Stock eines hundertjährigen Mietshauses. Sogar das Treppenhaus roch nach Lavendelwasser wie ein Wäscheschrank. Als ich geklingelt hatte und auf den Aufzug wartete, rührte mich dieser Duft an, und ich empfand ein unsägliches Heimweh nach einem kühleren, reineren, leidenschaftsloseren Leben. Mir kamen die Tränen, während ich nach oben fuhr. Ich hatte noch immer nicht begriffen, daß die Kraft, die das alles angeordnet hatte, auch in diesem Augenblick über mich verfügte.
Die Haushälterin machte auf. »Wie schade«, sagte sie, als sie mich erblickte. »Die gnädige Frau ist nicht zu Hause.«
Sie griff plötzlich mit einer eingeübten Bewegung nach meiner Hand und küßte sie.
»Lassen Sie doch«, sagte ich, aber es war schon zu spät. »Lassen Sie nur, Juditchen. Dann warte ich eben.«
Ich schaute lächelnd in das offene, ruhige, stolze Gesicht. Diese Frau, Judit, die Haushälterin meiner Schwiegermutter, diente seit sechzehn Jahren im Haus. Sie war ein Bauernmädchen aus Transdanubien, und sie hatte noch im alten Haushalt meiner Schwiegermutter den Dienst aufgenommen, als Mädchen für alles. Sie war ganz jung ins Haus gekommen, ungefähr mit fünfzehn. Als mein Schwiegervater gestorben war und die große Wohnung aufgegeben wurde, zog das Mädchen mit meiner Schwiegermutter in die Wohnung in der Innenstadt. Und Judit, die inzwischen eine alte Jungfer geworden war – sie war schon über dreißig –, wurde zur Haushälterin befördert.
Wir standen im halbdunklen Flur. Judit machte Licht. In diesem Augenblick begann ich zu zittern. Meine Beine zitterten, mein Kopf wurde blutleer, aber ich hielt mich aufrecht. Die Haushälterin trug an jenem Morgen ein ausgeschnittenes buntes Kattundirndl, ein einfaches Arbeitskleid. Dazu ein Kopftuch, denn sie war noch beim Reinemachen. Und um den bäurisch festen weißen Hals hatte sie ein violettes Band, an dem ein Amulett hing, ein billiges kleines Medaillon, wie man es auf dem Jahrmarkt kauft.
Ich streckte die Hand aus und riß ihr, ohne zu zögern oder zu überlegen, das Band samt Anhänger vom Hals. Das Medaillon fiel zu Boden und ging auf. Weißt du, was das Seltsamste war? Judit griff nicht danach. Sie stand aufrecht und verschränkte langsam, ruhig und sich noch höher aufrichtend die Arme über der Brust. In dieser Haltung sah sie von oben reglos zu, wie ich mich bückte, das Medaillon aufhob und die beiden eingeklebten Photographien erkannte. Beide zeigten meinen Mann. Die eine Aufnahme war alt, sechzehn Jahre zuvor entstanden. Mein Mann war damals zweiunddreißig, Judit vielleicht fünfzehn. Die andere stammte aus dem Vorjahr; er hatte sie angeblich für seine Mutter zu Weihnachten machen lassen.
Wir standen lange, ohne uns zu rühren.
»Bitte«, sagte sie schließlich fast mit Grandezza, »wir wollen nicht hier stehenbleiben. Treten Sie doch bei mir ein.«
Sie machte die Tür zu ihrem Zimmer auf und wies mir mit einer höflichen Geste den Weg. Ich trat wortlos ein. Sie blieb an der Schwelle stehen, machte die Tür hinter sich zu und drehte mit sicheren, entschiedenen Bewegungen den Schlüssel zweimal im Schloß.
Ich war nie zuvor in diesem Zimmer gewesen. Was hätte ich dort auch zu suchen gehabt? Und ob du es glaubst oder nicht, ich hatte nie zuvor dieser Frau so richtig aufmerksam ins Gesicht gesehen.
Jetzt aber tat ich’s.
Mitten im Zimmer stand ein weißgestrichener Tisch mit zwei Stühlen. Ich hatte Angst, daß mir schwindlig würde, und so ging ich langsam zu einem der Stühle und setzte mich. Judit setzte sich nicht; sie stand vor der abgeschlossenen Tür, mit verschränkten Armen, ruhig und bestimmt, als ob sie
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