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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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verhindern wollte, daß jemand hereinkam und uns störte.
    Ich sah mich gründlich um, als hätte ich unbeschränkt Zeit und als wäre hier alles wichtig, jeder Gegenstand, jedes Stückchen Abfall, hier, am »Tatort« – wie Lázár sich ausgedrückt hatte, und jeden Tag las ich ja auch in der Zeitung, daß sich die Polizei nach der Verhaftung des Täters zum Tatort begibt, um einen Augenschein vorzunehmen. Auf diese Art sah ich mich im Zimmer um, als hätte sich hier etwas ereignet, hier oder an einem ähnlichen Ort, in der Urzeit des Lebens. Und jetzt war ich in einer Person die Untersuchungsrichterin, die Zeugin und vielleicht auch das Opfer. Judit sagte nichts, störte mich nicht, sie verstand ganz genau, daß für mich in diesem Zimmer alles wichtig war.
    Doch ich sah nichts Auffälliges. Die Einrichtung des Zimmers war nicht ärmlich, aber auch nicht bequem. In Klöstern gibt es solche Gästezimmer für die weltlichen Besucher. Weißt du, was dieses Zimmer, das Messinggestell des Bettes, die weißen Möbel, die weißen Vorhänge, der gestreifte Bauernteppich, das Marienbildnis mit dem Rosenkranz, die äußerst bescheidenen, aber bewußt ausgewählten Toilettenartikel auf dem Glasregal über dem Waschbecken, was die ausdrückten? Verzicht. In diesem Zimmer atmete man die Luft des Verzichts. Und in dem Augenblick, da ich das spürte, war in meinem Herzen kein Zorn mehr, nur noch Traurigkeit und große Furcht.
    Und noch viele andere Gefühle überkamen mich in diesen langen Minuten. Ich nahm alles auf und spürte auch, was hinter den Gegenständen verborgen war – ein Schicksal, ein Leben. Wie gesagt, auf einmal fürchtete ich mich. Jetzt hörte ich wieder deutlich Lázárs traurige, heisere Stimme, die voraussagte, daß ich staunen würde, wie einfach, gewöhnlich und zugleich beängstigend die Wirklichkeit ist. Na ja, das alles war in der Tat ziemlich gewöhnlich. Und auch beängstigend. Warte, ich will der Reihe nach erzählen.
    Eben habe ich gesagt, ich hätte in diesem Zimmer die Luft des Verzichts gespürt. Aber gleichzeitig spürte ich auch die Luft der Intrige, des Attentats. Glaub ja nicht, das sei irgendein Loch gewesen, ein Verschlag für arme Dienstboten. Es war ein geräumiges, sauberes Zimmer; im Haus meiner Schwiegermutter hätte ein Dienstbotenzimmer gar nicht anders sein können. Ich habe vorhin auch gesagt, in Klöstern gebe es solche Gästezimmer: Es sind auch ein wenig Zellen, in denen der Gast nicht nur wohnt, schläft, sich wäscht, sondern in denen er sich auch mit seiner Seele beschäftigen muß. In solchen Zimmern erinnern jeder Gegenstand, die ganze Atmosphäre an einen strengen Befehl höherer Ordnung. Von irgendwelchen Düften, Kölnischwasser oder feiner Seife, war nicht die Spur vorhanden. Neben dem Waschbecken lag ein Stück Kernseife. Und Mundwasser, Zahnbürste, Kamm und Haarbürste. Und ich sah auch eine Dose Puder mit einem kleinen Wildlederlappen. Ich sah mir das alles sehr genau an.
    Auf dem Nachttisch stand ein gerahmtes Gruppenbild. Zwei kleine Mädchen, zwei pfiffig aussehende Burschen – der eine in Uniform – und zwei erschrocken wirkende alte Menschen, Mann und Frau. Kurz und gut, die Familie, irgendwo in Transdanubien.
    In einem Wasserglas frische Weidenkätzchen.
    Auf dem Tisch stand ein Nähkorb, darin Strümpfe, außerdem lag da eine alte Touristenbroschüre mit Meeresstrand und im Sand spielenden Kindern auf dem Titelblatt. Die Broschüre war zerknittert, eselsohrig und offenbar zerlesen. Und an der Tür hing an einem Kleiderbügel eine schwarze Dienstmädchentracht mit weißer Schürze. Das war alles.
    Doch in diesen gewöhnlichen Gegenständen war eine bewußte Disziplin. Es war zu spüren, daß hier jemand lebte, den man nicht zur Ordnung zu erziehen brauchte: Die Bewohnerin des Zimmers disziplinierte und erzog sich selbst. Du weißt doch, womit die Dienstboten sonst ihre Zimmer vollstopfen. Mit unmöglichen Dingen. Mit allem, dessen sie innerhalb ihrer Welt habhaft werden können, mit Lebkuchenherzen, bunten Ansichtskarten, ausrangierten Sofakissen, billigen Ziergegenständen, mit all dem, was aus der anderen Welt, der Welt der Herrschaft, zu ihnen gespült wird. Ich hatte einmal ein Dienstmädchen, das meine leeren Puderdosen sammelte und meine weggeworfenen Parfumflaschen aufbewahrte. Sie sammelte diesen Plunder, wie die Reichen Tabakdosen oder gotische Schnitzereien oder französische Impressionisten sammeln. In ihrer Welt bedeuten und ersetzen diese

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