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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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hätte, antwortet sie auf meine Frage: »Ich werde weggehen von hier. Die alte gnädige Frau tut mir leid, aber ich werde weggehen.«
    »Wohin, Juditchen?« fragte ich. Und die liebevolle Form der Anrede fiel mir nicht schwer.
    »Ich nehme eine Stelle an«, sagte sie. »Auf dem Land.«
    »Nach Hause können Sie nicht?« Ich blickte auf das Gruppenbild.
    Sie zuckte mit den Achseln: »Sie sind arm«, sagte sie dumpf und ohne Betonung.
    Das Wort »arm« lag noch eine Weile mit heiserem Hall in der Luft. Als ob hinter all dem, was wir reden konnten, doch nur das steckte. Fast hätten wir dem Wort nachgeblickt wie einem Gegenstand, der zum Fenster hereingeflogen kam: ich neugierig, sie sachlich und gleichmütig. Sie kannte das Wort.
    »Ich glaube nicht«, sagte ich dann, »ich glaube nicht, daß das etwas nützt. Warum sollten Sie weggehen? Niemand tut Ihnen etwas. Und warum sind Sie bisher geblieben? Sehen Sie«, sagte ich, als ob wir diskutierten und ich ein starkes Argument gefunden hätte, »wenn Sie bisher geblieben sind, können Sie auch weiterhin bleiben. Es ist nichts passiert.«
    »Nein«, sagte sie, »ich gehe.«
    Wir sprachen leise, mit halben Worten, auf Frauenart.
    »Warum?«
    »Weil er’s jetzt wissen wird.«
    »Wer?«
    »Na eben: er.«
    »Mein Mann?«
    »Ja.«
    »Bisher hat er’s nicht gewußt?«
    »Doch. Aber er hat es vergessen.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja.«
    »Und«, fragte ich, »wer sagt es ihm, wenn er es vergessen hat?«
    »Die gnädige Frau«, sagte sie einfach.
    Ich preßte mir die Hände aufs Herz: »Meine Liebe«, sagte ich, »was reden Sie? Das ist doch Wahnwitz. Warum denken Sie, ich würde es ihm sagen? Und was könnte ich sagen?«
    Jetzt starrten wir einander ohne Scheu und mit unverhüllter Neugier ins Gesicht, so scharf und gierig, als könnten wir uns nicht satt sehen, nachdem wir jahrelang die Blicke der anderen gemieden hatten. Und tatsächlich war es uns jetzt bewußt, daß wir jahrelang nicht gewagt hatten, uns wirklich mutig in die Augen zu sehen. Wir hatten gelebt, jede an ihrem Ort. Bloß hatten wir beide im Herzen ein Geheimnis aufbewahrt – das Geheimnis, das den Sinn unseres Lebens ausmachte. Und jetzt hatten wir es ausgesprochen.
    Wie ihr Gesicht war? Vielleicht kann ich es beschreiben.
    Aber vorher trinke ich ein Glas Wasser, ja? Mir ist die Kehle ausgedörrt. Fräulein, bitte ein Glas Wasser. Danke. Du, die löschen hier schon die Lampen. Aber ich bin gleich am Ende. Noch eine Zigarette, magst du?
    Also, sie hatte eine hohe Stirn, ein blasses, offenes Gesicht und bläulichschwarzes Haar. Sie trug es zu einem Knoten aufgesteckt, mit einem Scheitel in der Mitte. Ihre Nase war stumpf, ein bißchen slawisch. Und das ganze Gesicht war glatt, offen und so deutlich gezeichnet wie das Gesicht der Maria, die auf dem Altarbild einer Dorfkirche, dem Werk eines herumziehenden namenlosen Meisters, vor der Krippe kniet. Ein stolzes und sehr bleiches Gesicht. Das bläulichschwarze Haar umrahmte es wie … aber ich verstehe mich nicht auf Vergleiche. Was könnte ich schon sagen? Das wäre Lázárs Aufgabe. Aber er würde nichts sagen, sondern bloß lächeln, weil er Vergleiche nicht mag. Er mag nur Tatsachen und Hauptsätze.
    Ich will also die Tatsachen erzählen, falls es dich nicht langweilt.
    Sie hatte ein hochmütiges, schönes Bauerngesicht. Warum Bauerngesicht? Es war einfach. Es fehlte die typische Kompliziertheit, wie sie sich auf den gutbürgerlichen Gesichtern spiegelt. Jene bittere, gekränkte Spannung. Dieses Gesicht war glatt und unerbittlich. Es ließ sich nicht mit billigen Komplimenten und Freundlichkeiten zu einem Lächeln verlocken. Es hatte Erinnerungen, sehr lang zurückliegende, vielleicht nicht einmal persönliche Erinnerungen. In diesem Gesicht lebten die Erinnerungen eines Stammes. Der Mund und die Augen führten je ihr eigenes Leben. Auch ihre Augen waren bläulichschwarz. Im Tiergarten von Dresden habe ich einmal einen Puma gesehen. Der hatte solche Augen.
    Mit diesen Augen blickte sie mich jetzt an, wie ein Ertrinkender den Menschen am Ufer anschaut, der vielleicht sein Mörder, vielleicht sein Retter ist. Auch ich habe Katzenaugen, hellbraun, mit einem warmen Schein. Ich weiß, daß auch meine Augen in dem Moment glänzten und forschende Strahlen aussandten wie die Scheinwerfer, wenn ein Luftangriff bevorsteht.
    So blickten wir einander an, aber am beängstigendsten waren ihre Lippen. Weich und gekränkt. Und ihre Zähne, schneeweiß und kräftig. Denn sie

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