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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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sich fein und rücksichtsvoll von seiner Welt zurück, wobei er darauf achtete, niemanden zu verletzen. Allmählich blieben die Leute weg, und wir waren allein. Das war gar nicht so schlimm, wie du vielleicht denkst … An fünf Abenden der Woche waren wir zu Hause, hörten Musik oder lasen. Lázár kam nie mehr zu uns. Auch er war in jenen Jahren verreist, lange Zeit lebte er in Rom.
    So also war das. Alle drei warteten wir auf etwas: meine Schwiegermutter auf den Tod, mein Mann auf Judit Áldozó und ich darauf, daß der Tod oder Judit Áldozó oder etwas Unvorhergesehenes eines Tages in mein Leben treten würde und ich endlich wüßte, was aus mir würde und zu wem ich gehörte. Du fragst, warum ich meinen Mann nicht verlassen habe. Wie man mit jemandem leben könne, der auf eine andere wartet, der bei jedem Türöffnen bleich zusammenzuckt, der die Menschen meidet, der mit seiner Welt bricht, krank von einem Gefühl, besessen von einer unbändigen Erwartung. Leicht ist das nicht, so viel ist sicher. Und auch nicht gerade eine angenehme Lage. Aber ich war seine Frau, ich durfte ihn nicht verlassen, wenn er in Gefahr schwebte. Ich war seine Frau, ich hatte vor dem Altar geschworen, zu ihm zu halten, in guten und in schlechten Tagen, solange er es wollte, solange er mich brauchte. Und jetzt brauchte er mich. Wäre er in den zwei Jahren allein geblieben, wäre er zugrunde gegangen. Wir lebten und warteten auf ein himmlisches oder irdisches Zeichen; wir warteten auf Judit Áldozó.
    Denn von dem Augenblick an, da er erfuhr, daß diese Frau die Stadt verlassen hatte und nach England gegangen war – bloß kannte kein Mensch ihre Adresse –, wurde mein Mann richtig krank vom Warten, und das ist vielleicht das qualvollste Leiden im Leben. Ich kenne das Gefühl … Später, als wir geschieden waren, erwartete ich ihn eine Zeitlang, vielleicht ein Jahr lang, auch auf diese Art. Weißt du, man erwacht in der Nacht und schnappt nach Luft wie ein Asthmatiker. Streckt im Dunkeln eine Hand aus, tastet nach einer anderen Hand. Kann nicht begreifen, daß der andere nicht mehr da ist, nicht in der Nähe, nicht im Nachbarhaus oder in der nächsten Straße. Man geht durch die Stadt, und er kommt einem nicht entgegen. Telephonieren hat keinen Sinn, die Zeitungen sind voller belangloser Nachrichten, zum Beispiel, daß der Weltkrieg ausgebrochen ist oder daß in einer Millionenstadt mehrere Straßenzüge in Trümmer gelegt worden sind. Man hört sich solche Nachrichten höflich und halbwegs aufmerksam an, sagt: »Ach ja? … Wirklich? … Sehr interessant« oder: »Wie traurig«, aber man spürt nichts dabei. Ich habe in einem schönen, klugen, traurigen spanischen Buch gelesen – den Namen des Autors habe ich vergessen, er hat viele, lange Vornamen wie ein Torero –, daß in einem solchen benommenen, magischen Zustand, dem Seelenzustand der vergeblich aufeinander wartenden Liebenden, etwas von der Trance der Hypnotisierten sei; auch ihr Blick habe etwas Gebrochenes, wie der verschleierte Blick der Kranken, die mit langsamem Augenaufschlag aus dem Fiebertraum zu sich kommen. Für solche Menschen besteht die Welt aus einem Gesicht, und sie hören nichts anderes als einen Namen.
    Doch eines Tages wachen sie auf.
    Schau mich an.
    Man blickt sich um, reibt sich die Augen. Und sieht nicht mehr nur ein einziges Gesicht. Man sieht es zwar auch noch, aber verschwommen. Man sieht einen Kirchturm, einen Wald, ein Bild, ein Buch, das Gesicht anderer Menschen, das Unendliche der Welt. Es ist ein seltsames Gefühl. Was man am Vortag noch nicht ertragen konnte, weil es weh tat und brannte, schmerzt heute nicht mehr. Man sitzt auf einer Bank und ist ruhig. Man denkt Sachen wie: »Hühnersuppe.« Oder: »Die Meistersinger von Nürnberg.« Oder: »Die Lampe über dem Eßtisch braucht eine neue Glühbirne.« Und das alles ist wirklich und wichtig. Gestern war es noch unwirklich, schwebend und sinnlos, und die Wirklichkeit war etwas ganz anderes. Gestern wollte man noch Rache oder Erlösung, wollte, daß er anriefe, daß er einen dringend brauche oder daß er ins Gefängnis geworfen und hingerichtet werde. Weißt du, solange man so fühlt, kann sich der andere in seiner Ferne freuen. Denn da hat er noch Macht über dich. Solange du nach Rache schreist, reibt er sich die Hände, denn Rachegelüste bedeuten auch Sehnsucht und Gebundensein. Dann kommt der Tag, an dem man erwacht, sich die Augen reibt, gähnt und plötzlich merkt, daß man nichts mehr

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