Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
genau daran. Aber auch er sagte nichts, denn das Wichtigste kann man niemandem sagen. Jeder muß es selbst erfahren.
Was das Wichtigste ist? … Schau, ich will dir nicht weh tun. Nicht wahr, du bist gerade ein bißchen in den schwedischen Professor verliebt? … Oder? … Na gut, ich will keine Geständnisse. Aber erlaube dann, daß auch ich nichts sage, ich möchte dieses schöne, große Gefühl nicht verletzen, ich möchte nichts verderben.
Ich weiß nicht, wann mein Mann mit Lázár gesprochen hat, am folgenden Tag oder Wochen später, und ich weiß auch nicht, was sie sprachen. Bloß war alles so, wie es Lázár gesagt hatte. Mein Mann wußte alles, wußte, daß ich das violette Band und auch dessen Trägerin gefunden hatte. Er wußte, daß ich mit Judit gesprochen hatte, die am nächsten Monatsersten das Haus meiner Schwiegermutter tatsächlich verließ. Zwei Jahre lang hörte niemand von ihr. Mein Mann ließ sie durch Privatdetektive suchen, aber dann konnte er nicht mehr und wurde krank. Er gab die Suche auf. Weißt du, was mein Mann in den zwei Jahren tat, in denen Judit Áldozó verschwunden war?
Er wartete.
Ich hätte mir nie vorstellen können, daß man auf solche Weise warten kann. Es schien eine Zwangsarbeit. Ein Steineklopfen im Steinbruch. Mit solcher Kraft, so systematisch, so entschlossen und verzweifelt. Und da konnte ich ihm auch nicht mehr helfen. Und wenn ich einst auf dem Totenbett die Wahrheit sagen soll, so werde ich zugeben müssen, daß ich ihm auch gar nicht mehr helfen wollte. Mein Herz war da schon voller Bitterkeit und Hoffnungslosigkeit. Ich sah mir zwei Jahre lang diese fürchterliche Kraftanstrengung an. Diese lächelnde, schweigende, höfliche, immer bleichere, immer stummere Auseinandersetzung mit jemandem oder etwas … Die Bewegung, mit der er morgens nach der Post greift, so wie der Süchtige nach der Phiole, und wie er dann sieht, daß nichts darin ist, wie dann seine Hand herabsinkt. Die Kopfbewegung, wenn das Telephon läutet. Dieses Zucken mit der Schulter, wenn an der Tür geklingelt wird. Das Um-sich-Blicken im Restaurant oder im Foyer eines Theaters. Dieser Blick, der ewig etwas sucht. Zwei Jahre haben wir so gelebt. Und Judit Áldozó war verschollen.
Später haben wir erfahren, daß sie ins Ausland gereist war und als Dienstmädchen im Haus eines englischen Arztes arbeitete, in London. Damals waren in England ungarische Dienstboten gefragt.
Weder ihre Familie noch meine Schwiegermutter wußten etwas von ihr. Ich ging in diesen zwei Jahren oft zu meiner Schwiegermutter und verbrachte ganze Nachmittage bei ihr. Sie war damals schon krank, die Arme, sie hatte eine Thrombose gehabt und mußte monatelang reglos im Bett liegen. Da saß ich eben bei ihr. Ich gewann sie richtig lieb. Wir lasen, strickten, plauderten, fast könnte ich sagen, daß wir Scharpie zupften, wie die Frauen zu alter Zeit, wenn die Männer im Krieg waren. Ich wußte, daß mein Mann in einer gefährlichen Stellung lag. Er konnte jeden Augenblick fallen. Auch meine Schwiegermutter wußte das. Aber wir konnten ihm nicht mehr helfen. Es kommt der Augenblick im Leben, da man allein bleibt und einem niemand mehr helfen kann. Mein Mann war soweit. Er war allein, war ein wenig, oder vielleicht gar nicht so wenig, in Lebensgefahr, und er wartete.
Wir beiden hingegen, meine Schwiegermutter und ich, bewegten uns gewissermaßen auf Zehenspitzen um ihn herum wie Krankenschwestern. Und redeten von anderem, manchmal sogar heiter und unbeschwert. Es muß an einem besonderen Taktgefühl oder an einer Verschämtheit gelegen haben, daß meine Schwiegermutter später nie mehr von dem Geschehenen sprach. An jenem Mittag, als sie im Dienstmädchenzimmer saß und weinte, schlossen wir wortlos einen Bund, daß wir einander helfen würden, wo immer nötig, und vom Geschehenen würden wir nicht mehr reden, da die Sache nunmehr hoffnungslos war. Auch von meinem Mann sprachen wir nur wie von einem sehr geliebten Kranken, dessen Zustand zwar besorgniserregend, aber nicht unmittelbar bedrohlich ist. Weißt du, wie ein Zustand, in dem man noch lange weiterleben kann. Und unsere Aufgabe wäre es, das Kissen unter seinem Kopf zurechtzurücken oder ihm Eingemachtes zu bringen oder ihn mit den Nachrichten aus der Welt zu unterhalten. Und wirklich, in diesen zwei Jahren lebten wir still und ruhig und gingen selten in Gesellschaft. Mein Mann hatte da schon begonnen, alle Brücken zur Welt abzubrechen. Während zweier Jahre zog er
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