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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Konkurrenzkampf, der ihnen nicht erlaubt hat, ihre Träume in Kleingeld zu verwandeln. Dann soll man eben stärker und, wenn nötig, unerbittlicher sein. Das waren die Prinzipien meines Vaters. Deshalb verachtete er die Armen – womit er also nicht die unglückliche große Masse meinte, sondern den einzelnen, der nicht stark und begabt genug gewesen war, aus der Masse auszubrechen.
    Ein unerbittlicher Standpunkt, sagst du. Ich habe es auch so gesehen, lange Zeit. Aber jetzt sehe ich es nicht mehr so. Überhaupt sage ich über nichts mehr etwas Abschließendes. Ich lebe und denke, das ist alles, was ich tun kann. Um die Wahrheit zu sagen, ich habe in meinem Leben keinen einzigen gelochten Fillér verdient. Ich habe nur bewahrt, was mein Vater und meine Vorfahren mir hinterlassen hatten. Auch das ist nicht leicht, das Geld zu bewahren, denn es entstehen fortwährend riesige Kräfte gegen jeglichen Besitz. Zuweilen habe ich gegen sichtbare und unsichtbare Gegner gekämpft – so wie meine Ahnen, die Schöpfer des Reichtums, so entschlossen und wach wie sie. Doch in Tat und Wahrheit war ich kein Schöpfer mehr, denn ich hatte keine echte, unmittelbare Beziehung zum Geld. Ich war die zweite, die zweitletzte Generation, die nur noch bewahren will, was sie erhalten hat, anstandshalber.
    Mein Vater sprach manchmal auch vom Geld der Armen. Denn er achtete das Geld nicht nach der Höhe der Summen. Er sagte, jemand, der ein Leben lang Hilfsarbeiter in der Fabrik gewesen ist und am Ende immerhin ein Grundstück, ein kleines Haus und einen Obstgarten erwirbt, so daß er leben und sich mit dem Ertrag über Wasser halten kann, sei ein größerer Held als ein Feldherr. Er achtete den zähen Willen, mit dem die Gesunden und Herausragenden unter den Armen, die so schmerzlich wenige Chancen haben, sich doch wild entschlossen einen Teil vom Kuchen ergattern. Sie bringen es fertig, ein Stückchen Land unter die Schuhsohle zu bekommen und sich für ein paar Fillér ein Dach über dem Kopf zu bauen. Solche Leute respektierte er. Im übrigen achtete er nichts und niemanden auf der Welt. »Der ist nichts wert«, sagte er, wenn man ihm das Schicksal eines Unbeholfenen, Kraftlosen schilderte. Das war auch ein Lieblingsausdruck von ihm. Er konnte es mit vernichtendem Nachdruck sagen.
    Ich selbst war im Grunde genommen knauserig und bin es immer noch. Wie alle, die nicht mehr zu schaffen und zu erwerben vermögen und nur mehr die Rolle haben zu bewahren, was sie vom Leben und von den Vorfahren bekommen haben. Mein Vater war nicht knauserig, er ehrte das Geld: verdiente es, häufte es an und gab es dann, war der Moment dafür gekommen, mit sicherer, ruhiger Hand aus. Ich habe ihn einmal gesehen, wie er einen Scheck über eine Million ausfüllte, mit einer so entschlossenen und schlichten Geste, als gäbe er einem Kellner das Trinkgeld. Damals war die Fabrik abgebrannt, und die Versicherung zahlte nicht, weil das Feuer wegen betrieblicher Fahrlässigkeit entstanden war, und mein Vater mußte entscheiden, ob er die Fabrik wieder aufbauen oder alles auflösen wollte, um dann bis zu seinem Lebensende friedlich von den Zinsen zu leben. Er war nicht mehr jung damals, über sechzig, und hätte allen Grund gehabt, die Fabrik nicht wieder aufzubauen. Es wäre ihm durchaus möglich gewesen, diesen letzten Abschnitt seines Lebens ohne Arbeit zu verbringen und nur noch spazierenzugehen, zu lesen und sich ein bißchen umzuschauen. Doch er überlegte keinen Augenblick, sondern traf seine Vereinbarungen mit den Unternehmern und den ausländischen Ingenieuren, und dann schrieb er den Scheck und überreichte sein ganzes Vermögen dem Ingenieur, der das neue Unternehmen aufbaute und leitete. Und er sollte recht behalten. Mein Vater ist zwar zwei Jahre danach gestorben, aber die Fabrik steht heute noch, funktioniert und leistet nützliche Arbeit. Was gibt es mehr im Leben, als daß nach uns etwas zurückbleibt, aus dem die Welt und die Menschen Nutzen ziehen.
    Bloß hilft das dem schöpferischen Menschen nichts, das denkst du, oder? … Ich weiß, du denkst an die Einsamkeit. Die tiefe, dichte Einsamkeit, die alle kreativen Menschen umgibt wie die Atmosphäre die Erdkugel. Nun ja. Wer etwas zu schaffen hat, ist einsam. Aber es ist nicht so sicher, daß Einsamkeit Leiden bedeutet. Ich habe unter der Annäherung der Menschen, unter dem gesellschaftlichen Zusammensein mehr gelitten als unter der wirklichen Einsamkeit. Eine Zeitlang empfindet man die Einsamkeit als

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