Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
gar nichts eingenommen. Darüber habe ich viel nachgedacht, weißt du. Es ist nicht sicher, daß ein Kind, der Nachfolger, eine Antwort auf die eigentlichen Lebensfragen darstellt. Dem Gesetz nach schon, aber das Leben kennt keine Gesetze. Na ja, lassen wir das. Ich wollte ja von Judit Áldozó erzählen.
So also haben wir gelebt. So war meine Kindheit. Es gibt auch schlimmere, ich weiß. Aber solche Dinge sind relativ.
Die Feste, besonders die Familienfeste, hielten wir also getreulich ab. Vaters Geburtstag, Mutters Namenstag und all die anderen hochheiligen Stammesfeiern, mit den Geschenken, der Musik, den Festessen, den Tischreden und flackernden Kerzen. An solchen Tagen wurde ich von der Gouvernante sorgfältig gekleidet, in einen blausamtenen Anzug mit Spitzenkragen, du weißt, ganz der Kleine Lord . Das alles war Vorschrift wie beim Militär. Vaters Geburtstag war natürlich das Hauptfest. Da mußten Gedichte auswendig gelernt werden, das Hausvolk versammelte sich im Salon, alle in Festtagskleidung, die Augen blitzten, die Dienstboten küßten meinem Vater mit duckmäuserischer Begeisterung die Hand und dankten für etwas, ich weiß gar nicht recht, wofür. Wahrscheinlich dafür, daß sie das Personal waren und mein Vater nicht. Jedenfalls küßten sie ihm die Hand. Dann kam das große Mittag- oder Abendessen. Aus der Familienschatzkammer waren die schönen Teller, das seltene Silber hervorgeholt worden. Es traf die Verwandtschaft ein, um das reiche und mächtige Familienoberhaupt an seinem großen Fest gebührend zu feiern – und zu beneiden natürlich auch. Wir führten die Familie an. Die armen Verwandten bekamen von Vater monatlich Geld, eine richtige Monatsrente. Diese Rente wurde aber hinter Vaters Rücken für zu niedrig befunden. Da war eine alte Tante, eine gewisse Tante Mária, die den Betrag, den ihr mein Vater aus Erbarmen zukommen ließ, für so gering hielt, daß sie bei den Familienfeiern nie ins Zimmer kommen, sich nie an den festlich gedeckten Tisch setzen wollte. »Für mich ist auch die Küche recht«, pflegte sie zu sagen. »Ich nehme dann in der Küche ein bißchen Kaffee.« So unzufrieden war sie mit dem Betrag, den ihr mein Vater freiwillig, ohne jegliche Verpflichtung, jeden Monat überwies. Man mußte sie richtiggehend in den Salon zerren und beim Essen an den Ehrenplatz setzen. Es ist sehr schwierig, sich unter den Wünschen und Ansprüchen der armen Verwandtschaft auszukennen. Eigentlich ist es gar nicht möglich. Wahrscheinlich braucht es Größe, außerordentliche menschliche Größe, um den Erfolg eines nahen Verwandten zu ertragen. Die meisten sind dazu unfähig, und es ist idiotisch, sich aufzuregen, wenn man sieht, daß sich die Familie in einem subtilen, aus Mißgunst, Rachsucht und Feindseligkeit geflochtenen Bündnis gegen das erfolgreiche Familienmitglied wendet. Denn es gibt immer einen in der Familie, der Geld oder Ruhm oder Einfluß hat, und dieser eine wird dann von den anderen, vom Stamm, gehaßt und ausgenutzt. Mein Vater wußte das, er gab ihnen, soviel er für richtig hielt, und ertrug im übrigen ihre Abneigung mit Gleichmut. Er war ein starker Mensch. Das Geld hatte ihn weder sentimental noch schuldbewußt gemacht. Er wußte genau, wem wieviel zustand, und mehr gab er nicht. Auch nicht, was die Gefühle betrifft. Ein Lieblingswort von ihm war: »Das steht ihm zu.« Oder: »Das steht ihm nicht zu.« Und das war genau abgewogen. Hatte er es einmal ausgesprochen, war es fest und verbindlich wie ein Urteil der Kurie. Es gab nichts mehr zu diskutieren. Bestimmt war auch er ein einsamer Mensch, der sich Sehnsüchte und ihre Befriedigung im Namen des familiären Ansehens versagte. Er verdrängte sie und blieb doch stark, blieb im Gleichgewicht. »Das steht ihm nicht zu«, sagte er manchmal nach längerem Schweigen, wenn meine Mutter oder ein Verwandter nach komplizierten Unterhandlungen und Anspielungen die Bitte eines Familienmitglieds vortrug. Nein, mein Vater war nicht engherzig. Bloß kannte er die Menschen, und er kannte das Geld, das war alles.
Prosit.
Das ist ein ausgezeichneter Wein, was meinst du? Er hat so viel Geist und Kraft! Und ist im Alter gerade richtig, sechsjährig. Das beste Alter für Hunde und Weine. Mit siebzehn stirbt der Weißwein, verliert Farbe und Duft, ist tot wie Glas. Das habe ich gerade jetzt auf dem Badacsony von einem Winzer gelernt. Sei ja nicht gerührt, wenn dir Snobs sehr alten Wein zu trinken geben. Es muß alles gelernt
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