Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
zufrieden die Hand. Falls er aber ein guter Arzt ist, also auf eine spezifisch aufmerksame Art, so wie ein Pelikan nur und ausschließlich Pelikan ist und ein Feldherr auch dann ein Feldherr, wenn er nicht im Feld steht, falls du also einen solchen Arzt hast, wird er dir nach der halbjährlichen Kontrolle nicht beruhigt und zufrieden die Hand schütteln, auch wenn Herz, Lunge, Niere und Leber noch so gut funktionieren, denn dein Leben funktioniert nicht gut, man spürt dir schon die Kühle der Einsamkeit an, so wie auf den Schiffen feine Instrumente bereits in der Nähe des Äquators, in balsamischer Wärme, die Gefahr registrieren, den kalten Tod, den Eisberg, der sich auf dem graublauen Meer nähert. Es fällt mir kein anderer Vergleich ein, deshalb komme ich immer mit diesem Eisberg. Aber vielleicht könnte ich auch sagen – Lázár wüßte bestimmt viel bessere Vergleiche –, daß es eine Art Kühle ist, die man sommers spürt, in verlassenen Wohnungen, deren Bewohner in den Ferien sind, und es riecht nach Mottenpulver, die Teppiche und Pelze sind in Zeitungspapier gewickelt, während draußen Sommer ist, Hitze und versengendes Lodern, hinter den geschlossenen Fensterläden aber haben sich die Möbel und dunklen Zimmer mit kühler Traurigkeit vollgesogen, denn auch leblose Gegenstände spüren die Einsamkeit, alles und alle spüren sie, saugen sie auf und strahlen sie ab.
Und man bleibt allein, weil man hochmütig ist und das beängstigende Geschenk der Liebe nicht anzunehmen wagt. Denn man hat eine Rolle, die man für wichtiger hält als das Erlebnis der Liebe. Weil man eitel ist. Jeder richtige Bürger ist eitel. Ich spreche jetzt nicht von den Pseudobürgern, die diesen Titel und diese Stellung beanspruchen, weil sie Geld haben oder auf eine höhere Stufe befördert worden sind. Das sind grobe Klötze. Ich spreche von den schöpferischen, bewahrenden, echten Bürgern. Um die herum beginnt sich eines Tages die Einsamkeit zu kristallisieren. Und da fangen sie an zu frieren. Und dann werden sie feierlich wie edle Kunstgegenstände, chinesische Vasen oder Renaissancetische. Sie werden feierlich und beginnen, unnötige Titel und Auszeichnungen zu sammeln, sie tun alles, um Hochwohlgeboren oder Exzellenz zu werden, sie verbringen ihre Zeit mit komplizierten Demarchen, um einen Orden oder einen weiteren Titel zu ergattern, um Vizepräsident oder richtiger Präsident oder dann Ehrenpräsident zu werden. Das alles ist schon die Einsamkeit. Glückliche Völker haben keine Geschichte, so heißt es, glückliche Menschen haben keine Titel, keine Ehrenposten, keine weltliche Rolle.
Deshalb hatte meine Mutter Angst um mich. Und vielleicht duldete sie Judit Áldozó deshalb im Haus, auch dann noch, als sie die gefährliche Ausstrahlung ihrer Präsenz schon fühlen mußte. Wie gesagt, es »passierte« nichts. Fast müßte ich sagen: Leider passierte nichts. Es vergingen einfach drei Jahre. Und einmal an Weihnachten – ich kam aus der Fabrik und ging zu meiner Geliebten, der Sängerin, die an dem Nachmittag allein zu Hause war, in ihrer schönen, warmen, langweiligen Wohnung, die ich ihr eingerichtet hatte, und überreichte ihr mein Geschenk, das ebenso schön und langweilig war wie meine Geliebte und wie alle anderen Wohnungen und Geschenke, mit denen ich mich schon abgemüht hatte –, also, ich kam nach Hause, weil es der Nachmittag vor Heiligabend war und am Abend die Familie bei uns essen sollte. Und da ist es geschehen. Ich ging in den Salon, auf dem Flügel stand der geschmückte, glitzernde Baum, im Zimmer Halbdunkel, vor dem Kamin kniete Judit Áldozó.
Es war, wie gesagt, der Nachmittag vor Heiligabend, und in diesen Stunden im Elternhaus fühlte ich mich angespannt und allein. Und ich wußte auch, daß es von nun an immer so sein würde, in meinem ganzen Leben, immer, wenn nicht ein Wunder geschah. Du weißt ja, an Weihnachten glaubt man stets ein wenig an ein Wunder, nicht nur du und ich, sondern die ganze Welt, die Menschheit, denn das Fest gibt es eben, weil man ohne Wunder nicht leben kann. Natürlich hatte es vor diesem Nachmittag sehr viele andere Nachmittage, Nächte und Morgen gegeben, da ich Judit Áldozó gesehen und mir dabei nichts Besonderes gedacht hatte. Wenn man am Meer lebt, denkt man nicht immer daran, daß man auf dem Meer nach Indien fahren oder daß der Badende in den Wellen den Tod finden könnte. Meistens lebt man einfach am Meer, man schwimmt darin oder liest am Ufer ein Buch. Doch an
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