Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
dem Nachmittag blieb ich im dunklen Zimmer stehen und beobachtete Judit – sie hatte eine schwarze Zimmermädchenuniform an, so wie ich eine graue Jungfabrikantenuniform, wobei ich eigentlich auf mein Zimmer gehen wollte, um mich für den Abend in die schwarze Festuniform zu kleiden –, an diesem Nachmittag also blieb ich im halbdunklen Zimmer stehen, betrachtete den Weihnachtsbaum, die kniende Frauengestalt und verstand auf einmal, was in diesen Jahren geschehen war. Ich verstand, daß die großen Ereignisse ganz wort- und reglos sind, hinter den sichtbaren Ereignissen gibt es etwas anderes, das so träge ist wie ein Ungeheuer, das am Grund der Wälder und Meere und des menschlichen Herzens schläft, ein träges Urtier, das sich nur selten rührt, sich selten streckt und nach etwas greift, und dieses Urtier sind auch wir. Hinter dem Alltag gibt es eine Ordnung wie in der Musik oder in der Mathematik, eine etwas romantische Ordnung. Du verstehst nicht? … Ich hatte so ein Gefühl. Ich sag’s ja, ich bin ein Künstler, bloß fehlt mir das Instrument.
Das Mädchen verteilte im Kamin die Holzscheite, und sie spürte, daß ich hinter ihr stand und sie beobachtete, aber sie rührte sich nicht. Drehte den Kopf nicht zu mir. Sie kniete vorgebeugt, und diese Körperhaltung ist immer auch erotisch. Eine Frau, die vorgebeugt kniet, und wenn es während der Arbeit ist, verwandelt sich immer in eine erotische Erscheinung. Darüber mußte ich lachen. Aber nicht auf frivole Art, sondern einfach gutgelaunt, aus Freude darüber, daß selbst den großen Augenblicken, den entscheidenden, schicksalhaften Sekunden in uns und unseren Beziehungen eine ungeschlachte Menschlichkeit, ein derber Stumpfsinn innewohnt, daß die großen Gefühle und pathetischen Regungen mit solchen Körperhaltungen und Bewegungen zusammenhängen. So etwas ist lächerlich und erbärmlich. Doch die Erotik, die große erneuernde Kraft, die jedes Lebewesen zu ihrem Sklaven macht, setzt sich aus solchen Bewegungen zu einem Phänomen höherer Art zusammen. Auch daran dachte ich in jenem Augenblick. Und natürlich daran, daß ich diesen Körper begehrte und daß da eine Notwendigkeit war und auch etwas Gemeines und Verachtenswertes, aber ich begehrte sie, das war die Wahrheit. Und auch das, daß ich nicht nur ihren Körper begehrte, der sich mir jetzt in so plumper Art zeigte, sondern auch das Schicksal hinter diesem Körper, seine Gefühle und Geheimnisse. Und da ich sehr viel mit Frauen zusammengewesen war, wie damals alle reichen und im Grunde müßiggängerischen jungen Leute, wußte ich auch, daß es zwischen Männern und Frauen keine definitiven erotischen Lösungen gibt, daß die erotischen Augenblicke aus sich selbst aufflackern und ins Nichts zerfallen, in die Gewohnheit und die Gleichgültigkeit. Und daß dieser Körper, dieser pralle Hintern und diese schlanke Taille, diese breiten und doch wohlproportionierten Schultern, dieser hübsche, etwas seitwärts gebeugte Hals mit dem dunklen Flaum, diese nett geformten, vollen Beine, daß dieser Frauenkörper nicht der schönste der Welt war – ich hatte schon besser proportionierte, schönere, aufregendere Körper in mein Bett geschleppt –, daß es jetzt aber nicht darum ging. Und ich wußte auch, daß die Wellenbewegung und das Schwanken, die einen fortwährend zwischen Begehren und Befriedigung, zwischen Durst und Überdruß hin und her schieben, daß dieses Anziehen und Abstoßen keine Ruhe kennt. Das alles wußte ich, wenn auch nicht so genau wie jetzt, da ich alt werde. Mag sein, daß ich damals noch hoffte, in der Tiefe meines Herzens hoffte, daß es einen Körper gibt, der in völliger Harmonie einem anderen Körper antwortet und den Durst des Begehrens und den Überdruß der Befriedigung in einem sanfteren Frieden auflöst – gemäß dem Traum, den die Menschen im allgemeinen das Glück nennen. Nur gibt es das Glück eben nicht, aber das wußte ich damals noch nicht so genau.
In Wirklichkeit kommt es nur selten vor, daß auf die Anspannung des Begehrens, des Reizes nicht eine ebenso tief empfundene kritische Nachdenklichkeit folgt, die Herabgestimmtheit der Befriedigung. Daneben gibt es Menschen, die wie Schweine sind, denen alles gleich ist, Begehren und Befriedigung, alles auf derselben undifferenzierten Ebene. Vielleicht sind das die Zufriedenen. Aber eine solche Zufriedenheit wünsche ich mir nicht. Wie gesagt, das alles wußte ich damals noch nicht so genau; vielleicht hoffte ich noch,
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