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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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untersuchen.«
    Lázár, ja. Es war eine seltsame Beziehung, die wir hatten.
    Wir waren gleich alt, Schulkameraden. Er war schon fünfunddreißig vorbei, als sein Name plötzlich aufgegriffen wurde; bis dahin hatte man praktisch nichts von ihm gehört. Er schrieb in kleinen, hoffnungslosen Zeitschriften merkwürdige kurze Texte, die auf mich immer wirkten, als mache sich der Autor über die Leser lustig, als spotte er über diese Erfindung, über das Schreiben, das Publizieren, das Lesen und Kritisieren. Er schrieb zwar kein einziges Wort, das eine solche Ansicht ausgedrückt hätte. Was schrieb er eigentlich? Er schrieb über das Meer oder ein altes Buch oder einen Charakter, ganz kurz, zwei, drei Seiten. Diese Texte waren so hermetisch, als teilte jemand in der Sprache eines fremden, seltsamen Volksstamms seine Beobachtungen über die Welt und über die Dinge hinter der Welt mit. Dieser Volksstamm – das war mein Gefühl, als ich seine ersten Artikel las – war im Aussterben begriffen, es lebten nur noch sehr wenige seiner Mitglieder, nur noch sehr wenige sprachen diese Sprache. Die Muttersprache der Schriften Lázárs. Daneben sprach und schrieb er ein kühles, schönes Ungarisch, fehlerlos und rein. Er sagte mir, er lese jeden Tag morgens und abends János Arany, so wie man täglich mehrmals den Mund spüle. Aber seine Texte redeten dennoch in jener anderen Sprache.
    Und dann war er auf einmal berühmt. Warum? … Es war unerklärlich. Hände wurden nach ihm ausgestreckt, man vernahm zuerst in den Salons, dann auf den Diskussionspodien, dann in den Zeitungen immer öfter seinen Namen. Und plötzlich begann man ihn zu imitieren, die Zeitungen und Zeitschriften waren voller Lázár-Texte, die nicht er geschrieben hatte und deren heimlicher Autor doch er war. Vor allem das große Publikum interessierte sich für ihn, was niemand verstand, denn seinen Büchern fehlte alles, was die Menschen unterhält, beruhigt und einlullt. Vielmehr schien er den Leser gar nicht zu beachten. Aber auch das wurde ihm verziehen. Nach ein paar Jahren war er einer der ersten in dem seltsamen Wettbewerb, der den weltlichen Teil des intellektuellen Lebens ausmacht; seine Texte wurden gedeutet wie die uralten Schriften des Orients an den Hochschulen. Das alles veränderte ihn nicht. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs fragte ich ihn einmal, was er fühle, ob ihm dieses Geschrei nicht in den Ohren schmerze, da es natürlich auch durchsetzt war vom Gekreisch der Mißgunst, des Hasses, der berechtigten oder unberechtigten, jedenfalls der neidvollen Anklage. Das Ganze aber ergab ein einziges Klanggemisch, aus dem klar und deutlich sein Name heraustönte wie die Solovioline aus dem Orchester. Er hörte sich die Frage aufmerksam und nachdenklich an. Dann sagte er ernst: »Das ist die Rache des Schriftstellers.« Mehr sagte er nicht.
    Ich wußte etwas von ihm, das die Welt nicht wußte: Er war ein Mann, der spielte. Mit allem, mit Menschen, Situationen, Büchern, überhaupt mit dem seltsamen Phänomen, das man im allgemeinen Literatur nennt. Einmal, als ich ihm das vorhielt, sagte er schulterzuckend, die Kunst sei heimlich und ganz innen, in der Seele des Künstlers, nichts anderes als eine Erscheinungsform des Spieltriebs. »Und die Literatur?« fragte ich. »Die Literatur ist doch mehr als die Kunst, sie ist Antwort und ethische Haltung.« Er hörte mir ernst und höflich zu, wie immer, wenn ich die Rede auf seinen Beruf brachte, und dann sagte er, das sei richtig, doch der Instinkt, der diese Haltung bestimme, sei ein spielerischer Instinkt, und übrigens bestehe der eigentliche Sinn der Literatur, ebenso wie der des Glaubens, in der Form, und was Form sei, sei auch schon Kunst. Er wich der Frage aus. Das große Publikum und die Kritiker wußten natürlich nicht, daß dieser Mensch genauso ernsthaft mit einem Kätzchen spielte, das ein Fadenknäuel jagte, wie er mit einem philosophischen oder ethischen Problem spielte: mit demselben Ernst, also gleicherweise unvoreingenommen, seine Aufmerksamkeit dem Phänomen oder dem Gedanken voll zuwendend, während er sein Herz keinem von ihnen überließ. Er war der Spielkamerad. Das wußte man nicht von ihm. Und er war auch der Augenzeuge meines Lebens. Darüber sprachen wir oft und ganz offen. Du weißt ja, jeder hat jemanden, der sein Anwalt, Überwacher, Richter und gleichzeitig auch ein bißchen sein Komplize ist in dem rätselhaften Prozeß, der sich Leben nennt. So ist der Augenzeuge. Er ist es, der

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