Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
geneigten Hals, während sie mir zuhörte, in der Hand den Feuerhaken. Ich sagte, sie solle das Haus verlassen, sie solle kündigen, solle sagen, sie müsse nach Hause fahren, und dann solle sie irgendwo auf mich warten, ich würde meine Angelegenheiten in ein paar Tagen ordnen, und dann würden wir zusammen verreisen, nach Italien, und dort würden wir lange bleiben, vielleicht jahrelang. Ich fragte sie, ob sie Italien gern sehen würde. Sie schüttelte stumm den Kopf, wahrscheinlich hatte sie meine Frage gar nicht verstanden, wahrscheinlich wirkte das so, als hätte ich gefragt, ob sie Heinrich IV. sehen wolle. Sie verstand es nicht. Aber sie war sehr aufmerksam. Sie schaute ins Feuer, während sie gerade aufgerichtet kniete wie die Büßer, ganz nahe bei mir, ich hätte nur die Hand auszustrecken brauchen. Einmal streckte ich sie auch aus und griff nach ihrer Hand, aber sie zog sie zurück – weder kokett noch beleidigt, sondern mit einer natürlichen, einfachen Abwehr, so wie man im vertrauten Gespräch beiläufig einen Versprecher des andern korrigiert. Erst jetzt sah ich, daß diese Frau auf ihre Art vornehm war. Eine vornehme Substanz, aus der sie gemacht war. Ich war überrascht, aber gleichzeitig dünkte es mich auch natürlich. Immerhin wußte ich bereits, daß die Menschen nicht durch Stellung und Geburt vornehm sind, sondern durch den Charakter und den Verstand. Sie kniete im rötlichen Licht vor dem Kamin wie eine Herzogin, aufgerichtet und natürlich, weder stolz noch demütig, ohne das geringste Anzeichen von Verlegenheit oder Befangenheit, als wäre dieses Gespräch die natürlichste Sache der Welt. Und über allem der Weihnachtsbaum, nicht wahr. Später mußte ich immer lachen, wenn mir der Weihnachtsbaum einfiel, wobei es ein leicht bitteres Lachen war, das kann ich wohl sagen … Und Judit unter dem Baum wie ein unverständliches, seltsames Geschenk.
Und da sie nicht antwortete, verstummte ich schließlich auch. Sie beantwortete die Frage nicht, ob sie mit mir leben wolle, und auch nicht die Frage, ob wir nach Italien reisen sollten, für mehrere Jahre. Und weil mir nichts anderes mehr einfiel, und schließlich auch, weil ich für einmal reden mußte wie ein Käufer, der dem hartnäckigen Verkäufer gegenüber alles probiert, zuerst wenig anbietet, dann sieht, daß der andere hart bleibt und nicht mit sich feilschen läßt, und so am Ende den vollen Kaufpreis verspricht: so fragte ich sie also, ob sie meine Frau werden wollte.
Auf diese Frage antwortete sie.
Allerdings nicht sofort. Zuerst benahm sie sich merkwürdig. Sie blickte mich wütend an, fast haßerfüllt. Ich sah, daß sie geschüttelt wurde wie von einem Krampf. Sie zitterte. Kniete da und zitterte. Den Feuerhaken hängte sie an seinen Platz zurück, an die Wand neben dem Kamin, neben den Blasebalg. Und verschränkte die Arme auf der Brust. Jetzt sah sie aus wie ein Zögling, den der strenge Lehrer knien läßt. Sie starrte düster, mit einem gequälten Gesichtsausdruck, ins Feuer.
Dann stand sie auf, strich ihr Kleid zurecht und sagte: »Nein.«
»Warum nicht?« fragte ich.
»Weil Sie feig sind«, sagte sie und schaute mich sehr langsam und sehr gründlich von Kopf bis Fuß an. Und ging aus dem Zimmer.
Prosit. So hat es begonnen. Dann ging ich in die Stadt, die Geschäfte wurden geschlossen, die Leute beeilten sich, mit ihren Weihnachtspaketen nach Hause zu kommen. Ich ging in einen kleinen Uhrenladen, wo auch einfacher Schmuck verkauft wurde. Ich suchte ein Goldmedaillon aus, weißt du, so ein billiges kleines Ding, in dem die Frauen das Bild ihres verstorbenen oder lebenden Liebsten aufbewahren. In meiner Brieftasche fand ich einen Ausweis mit einem Photo, irgendein Abonnement, das am letzten Tag des Jahres ablief. Ich riß das Photo heraus, legte es ins Medaillon und bat den Händler, das Ganze schön als Geschenk zu verpacken. Als ich wieder nach Hause kam, machte Judit auf. Ich drückte ihr das Päckchen in die Hand. Kurz darauf verreiste ich, kam jahrelang nicht zurück und erfuhr erst viel später, daß sie das Medaillon von dem Augenblick an um den Hals getragen hatte, an einem violetten Band, und es nur abnahm, um sich zu waschen oder um das Band auszuwechseln.
Daraufhin geschah alles so, als hätten wir an jenem Weihnachtsnachmittag gar nicht von schicksalhaften Dingen gesprochen. Am Abend servierte Judit bei Tisch, zusammen mit dem Diener, am folgenden Tag machte sie wie immer in meinem Zimmer sauber. Natürlich
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