Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
dieses Giftes zu retten –, und dabei sah er mich so ernst und aufmerksam an, daß es verdächtig war. Ich fürchtete, er führe mich an der Nase herum, habe ein neues Spiel erfunden, tue so, als sei die Angelegenheit lebenswichtig, und am Ende würde er mir ins Gesicht lachen und sagen, nichts sei lebenswichtig, das sei alles bloß eine Herr-Kovács-Sache: Nur der Spießbürger glaube, das Universum drehe sich um ihn, und die Sternbilder seien auf sein Schicksal hin geordnet. Ich wußte, daß er mich für einen Bürger hielt – nicht gerade im verächtlichen Sinn des Wortes, so wie es heute Mode ist, nein, er erkannte an, daß Bürgerlichkeit auch Anstrengung bedeutet, er sah wegen meiner Abstammung, meiner Manieren und Überzeugungen nicht auf mich herunter, denn auch er hatte eine hohe Meinung vom Bürger –, bloß war ich das in seinen Augen auf hoffnungslose Art. Er hatte das Gefühl, in meiner Situation sei etwas Aussichtsloses. Er sagte, der Bürger sei immer auf der Flucht. Zu Judit Áldozó mochte er sich hingegen nicht äußern. Er sprach von anderem, höflich und bestimmt.
    Später habe ich oft über dieses Gespräch nachgedacht. Weißt du, ich dachte wie ein Kranker daran, der erst später die Wahrheit hört, den wahren Namen und das wahre Ausmaß seiner Krankheit, und dem dann der Nachmittag einfällt, an dem er zum erstenmal bei dem berühmten Arzt war. Der Nachmittag, an dem ihn der Professor, der renommierte Internist, sorglich und gründlich untersuchte, mit allen Mitteln der Kunst, und dann höflich von anderem redete, ihn fragte, ob er nicht Lust auf eine Reise hätte, ob er das Erfolgsstück schon gesehen, von dem und jenem gemeinsamen Bekannten etwas gehört habe. Nur gerade von dem, was den Kranken interessiert, spricht er nicht. Und der hat doch genau deswegen die Unannehmlichkeit der Untersuchung auf sich genommen, denn er will Gewißheit haben, er weiß ja selbst nicht recht, was ihm fehlt, seine Beschwerden haben etwas Allgemeines, es sind eher kleine Symptome, und eine Art Beklommenheit, ein vages Unwohlsein warnt ihn, daß in seinem Organismus, seinem Lebensrhythmus etwas nicht in Ordnung ist. Vielleicht hofft er sogar noch, daß sich die Sache einrenken läßt, doch gleichzeitig dämmert ihm undeutlich, aber unmißverständlich, daß der Professor die Wahrheit kennt, sie aber nicht sagen will. Und jetzt heißt es warten, bis man aufgrund der Symptome, der unheilvollen Zeichen der Krankheit und der Art der Behandlung doch noch die Wahrheit erfährt, die der weise Arzt verschwiegen hat. Und unterdessen wissen alle alles, der Kranke weiß, daß er sehr krank ist, der Professor weiß es ohnehin, und er weiß auch, daß der Kranke die Wahrheit ahnt und weiß, daß der Arzt sie ihm verschweigt. Dennoch ist nichts zu machen, man muß warten, bis die Krankheit spricht. Und dann muß man, soweit es geht, sie zu beheben versuchen.
    Auf diese Art hörte ich Lázár an dem Abend zu, nachdem Judit bei ihm gewesen war. Er redete von allerlei: von Rom, von einem neuen Buch, vom Verhältnis der Jahrhunderte zur Literatur. Dann stand er auf, reichte mir die Hand und ging. Da spürte ich, daß es kein Spiel gewesen war. Mein Herz klopfte unruhig. Ich fühlte, daß er mich meinem Schicksal überlassen hatte und daß ich von nun an alles allein tun mußte. In dem Augenblick begann ich eine Art Hochachtung vor dieser Frau zu fühlen, die auf Lázár eine solche Wirkung gehabt hatte. Ich achtete sie, ich hatte Angst vor ihr. Einige Tage später reiste ich ab.
    Dann verging viel Zeit, an die ich mich nur noch ungenau erinnere. Weißt du, das war die Zeit des Zwischenspiels. Ich will dich nicht damit langweilen.
    Ich reiste vier Jahre lang durch ganz Europa. Mein Vater kannte den wahren Grund dieser Reise nicht. Meine Mutter vielleicht schon, aber sie sagte nichts. Mir selbst fiel lange Zeit auch nichts Besonderes auf. Ich war jung, und wie man zu sagen pflegt: Mir gehörte die Welt.
    Damals war noch Friede. Wenn auch kein richtiger. Es war die Übergangszeit zwischen zwei Kriegen. Die Grenzen waren nicht ganz offen, doch die Züge hielten nur mehr kurze Zeit an den diversen Schranken. Die Menschen, erstaunlich vertrauensvoll und selbstvergessen, forderten voneinander Wechsel mit langem Verfallsdatum, und nicht nur die Menschen, sondern auch die Länder, und was noch erstaunlicher ist: Sie erhielten sie auch – man baute Häuser und benahm sich ganz allgemein so, als wäre ein schmerzlicher, schrecklicher

Weitere Kostenlose Bücher