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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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einen durchschaut und bis ins kleinste kennt. Alles, was man tut, tut man auch ein bißchen für ihn, und wenn man Erfolg hat, denkt man: »Ob er es wohl glaubt?« Der Augenzeuge ist ein Leben lang im Hintergrund da. Ein unbequemer Spielkamerad. Und doch kann man ihn nicht loswerden, will es wohl auch nicht.
    Das war für mich die Bedeutung Lázárs, des Schriftstellers, mit dem ich die merkwürdigen, für andere unverständlichen Spiele der Jugend und des Erwachsenenalters spielte. Nur wir wußten voneinander, daß wir zwar in den Augen der Welt erwachsene Leute waren, der ernsthafte Fabrikant und der berühmte Schriftsteller, daß wir in den Augen der Frauen aufgeregte oder traurige oder leidenschaftliche Männer darstellten, daß aber in Wirklichkeit das Beste, das wir uns bewahren konnten, dieses grillenhafte, mutige, unerbittliche Spiel war, mit dem wir den feierlichen, verlogenen Schein des Lebens entlarvten und in etwas Besseres verwandelten.
    Wenn wir zusammenkamen, verstanden wir uns, wie ganz üble Komplizen, sogar ohne geheime Zeichen und begannen gleich zu spielen.
    Wir hatten viele Spiele. Zum Beispiel das Herr-Kovács-Spiel. Das erzähle ich dir, damit du verstehst, was ich meine. Man mußte es in der Gesellschaft, unter den anderen Damen und Herren Kovács, ganz unvermittelt so spielen, daß niemand etwas merkte oder auch nur ahnte. Also, wir treffen uns irgendwo und fangen gleich an. Was sagt der eine Herr Kovács zum andern Herrn Kovács, wenn gerade davon gesprochen wird, daß die Regierung gestürzt worden oder die Donau über die Ufer getreten ist und eine ganze Gemeinde weggeschwemmt hat oder daß sich die berühmte Schauspielerin scheiden läßt oder daß der namhafte Politiker öffentliche Gelder veruntreut hat oder daß der große Moralapostel in einem Stundenhotel tot gefunden wurde? Herr Kovács brummt ein bißchen vor sich hin, dann sagt er: »So geht das eben.« Und noch weitere monumentale Platitüden, wie zum Beispiel: »Das Wasser hat die Eigenschaft, naß zu sein.« Oder: »Einmal so, einmal anders, nicht wahr?« Seit es die Welt gibt, reden sämtliche Damen und Herren Kovács so. Und wenn der Zug anfährt, sagen sie: »Wir fahren.« Und wenn der Zug in Füzesabony hält, sagen sie ernst und feierlich: »Füzesabony.« Und sie haben immer recht. Die Welt ist vielleicht deshalb so unbegreiflich gemein und hoffnungslos, weil die Gemeinplätze immer stimmen, und nur ein Genie oder ein Künstler wagt es, auf sie zu pfeifen und zu enthüllen, was an ihnen tot und lebensfeindlich ist, und zu zeigen, daß es hinter den wohlanständigen Herr-Kovács-Weisheiten eine andere Wahrheit gibt, die das Rad schlägt und sich keinen Deut um Füzesabony schert und nicht überrascht ist, wenn die Polizei den Moralapostel vorfindet, wie er nach einem Stelldichein im rosaroten Unterrock vom Türsturz baumelt … Das Herr-Kovács-Spiel hatten Lázár und ich zur Vollkommenheit gebracht, die Herren Kovács vermuteten nichts und fielen immer herein. Wenn Herr Kovács von der Politik sprach, antworteten Lázár oder ich, ohne zu zögern: »Es ist nämlich so: Der eine hat zwar schon recht, aber auch der andere hat nicht ganz unrecht. Man muß eben beide Seiten anhören.« Dann gab es das Zu-meiner-Zeit-Spiel, das auch nicht schlecht war. Zu meiner Zeit, nicht wahr, war alles besser, der Zucker süßer, das Wasser nasser, die Luft luftiger, die Frauen liefen nicht irgendwelchen Liebhabern hinterher, sondern klopften den ganzen Tag am Fluß die Wäsche, bis zum Sonnenuntergang, und danach klopften sie noch ein Weilchen weiter. Und wenn die Männer Geld sahen, wollten sie es nicht haben, sondern schoben die Geldscheine von sich und sagten: »Gehen Sie mir doch weg mit diesem Geld. Geben Sie es lieber den Armen.« So waren die Frauen und Männer zu meiner Zeit, nicht wahr?
    Zu diesem Mann schickte ich vor meiner Abreise Judit Áldozó, damit er sie sich anschaute. Wie gesagt, als wäre er ein Arzt.
    Judit war an einem Nachmittag bei ihm, am Abend traf ich mich mit Lázár. »Schau«, sagte er, »was willst du? Das ist schon gelaufen.« Ich hörte ihm mißtrauisch zu. Hatte Angst, er spiele wieder. Wir saßen in einem Kaffeehaus in der Innenstadt, wie jetzt du und ich. Er drehte seine Zigarettenspitze zwischen den Fingern – er rauchte die Zigaretten immer aus einer langen Spitze, denn er hatte dauernd Nikotinvergiftungen und dachte sich die kompliziertesten Dinge aus, um die Menschheit vor den schrecklichen Folgen

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