Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
der Zivilisation produziert. Es war anständige Ware, aber alles in allem hätte sie auch von Maschinen und von Menschen hergestellt werden können, die auf dieses Ziel hin abgerichtet, für diese Arbeit geschult waren. Was tat ich eigentlich in der Fabrik, die mein Vater gebaut hatte und die seine Ingenieure eingerichtet hatten? Ich traf pünktlich um neun dort ein, so wie die anderen höheren Kader, denn man mußte ja mit gutem Beispiel vorangehen. Ich las die Post. Mein Sekretär zählte auf, wer angerufen hatte, wer mit mir zu sprechen wünschte. Dann trafen die Ingenieure und die Vertreter ein, statteten Bericht über den Geschäftsgang ab und forderten mich auf, meine Meinung über die Produktionsaussichten eines neuen Materials zu äußern. Die hervorragend qualifizierten Büroangestellten und Ingenieure – die meisten hatte noch mein Vater ausgebildet – traten selbstverständlich mit fertigen Plänen vor mich hin, die ich bestenfalls ein bißchen beanstandete, ein bißchen korrigierte. Meistens aber war ich mit ihnen einverstanden und hieß sie gut. Die Fabrik produzierte von früh bis spät, die Vertreter verkauften die Ware, die Einkünfte wurden verbucht, und ich saß den ganzen Tag in meinem Büro, und das alles war sehr nützlich, notwendig und ehrbar. Wir legten niemanden herein, weder einander noch die Kunden, noch den Staat, noch die Welt. Nur ich mich selbst.
Denn ich glaubte, das alles gehe mich wirklich und ehrlich an. Das sei mein Tätigkeitsbereich, wie man so sagt. Ich beobachtete die Gesichter der Menschen in meiner Umgebung, hörte ihre Reden und versuchte zu ergründen, ob diese Arbeit ihr Leben tatsächlich ausfüllte oder ob sie heimlich doch das Gefühl hatten, jemand oder etwas verbrauche sie, sauge ihnen das Beste aus, den einzigen Sinn des Lebens. Es gab einige, die sich nicht einfach mit ihrer Arbeit begnügten, die sich bemühten, alles besser oder anders zu machen, und dieses »anders« war gar nicht immer die beste, richtigste Methode. Aber immerhin wollten die etwas. Wollten an der Ordnung der Dinge etwas verändern. Wollten ihrer Arbeit einen neuen Inhalt geben. Darum geht es offenbar. Den Menschen genügt es nicht, ihr tägliches Brot zu verdienen, ihre Familie zu ernähren, Arbeit zu haben und sie anständig zu verrichten. Nein, die Menschen wollen mehr. Sie wollen zum Ausdruck bringen, was in ihnen als Idee, als Absicht lebt. Die Menschen wollen nicht nur Brot und eine Anstellung, nicht nur Arbeit, sondern eine Berufung. Sonst hat ihr Leben keinen Sinn. Sie wollen das Gefühl haben, man brauche sie, auch auf andere Art als in der Fabrik oder in einem Büro, wo ihre Arbeitskraft zur allgemeinen Zufriedenheit verwendet wird. Sie wollen etwas tun, und zwar so, wie es andere nicht können. Das wollen natürlich nur die Begabten. Die große Mehrheit ist träge. Vielleicht flimmert auch in ihren Seelen eine schwache Erinnerung, daß es nicht um den Wochenlohn geht, daß Gott noch anderes mit ihnen vorhatte. Doch das war vor sehr langer Zeit. Und sie sind so viele, diese anderen, in denen die Erinnerung kaum mehr lebt. Sie sind es, die den Begabten hassen. Ihn Streber nennen, weil er anders leben und arbeiten will, anders als sie, die beim Sirenenton von der Akkordarbeit der Fabrik zur Akkordarbeit des Lebens rennen. Mit subtilen, verwickelten Methoden versuchen sie, dem Begabten die Lust an der eigenständigen Arbeit zu nehmen. Sie verspotten ihn, behindern und verdächtigen ihn.
Auch das habe ich gesehen, von meinem Büro aus, wo ich die Arbeiter, Ingenieure und Besucher aus der Geschäftswelt empfing.
Und ich, was tat ich? Ich war der Chef. Saß an meinem Platz wie ein Wächter. Achtete darauf, würdig, menschlich und gerecht zu sein. Gleichzeitig achtete ich natürlich auch darauf, von der Fabrik und den Angestellten alles zu bekommen, was mir an Gewinn und Vorteil zustand. Ich hielt mich peinlich genau an meine Arbeitseinteilung, genauer als die Arbeiter und Büroangestellten. Auf diese Art war ich bemüht, das Vermögen und die mir zustehenden Einkünfte zu rechtfertigen. Doch innen war das alles fürchterlich hohl. Was konnte ich schon in dieser Fabrik tun? Konnte einen Plan gutheißen oder zurückweisen, konnte eine neue Arbeitsordnung aufstellen, konnte für die Ware neue Absatzmöglichkeiten finden.
Ob ich mich über den großen Verdienst freute? … Sich freuen ist nicht das richtige Wort. Es verschaffte mir Befriedigung, daß ich meine Pflichten gegenüber der Welt
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