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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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erfüllen konnte, daß mir das Geld die Möglichkeit verlieh, vornehm, großmütig und einwandfrei unparteiisch zu sein. In der Fabrik und in der Geschäftswelt galt ich als das Muster eines korrekten Unternehmers. Ich war gerecht, ich gab einer großen Anzahl von Menschen ihr tägliches Brot, und mehr als nur Brot. Geben ist schön. Bloß bezog ich aus alldem keine echte Freude. Ich lebte ohne Sorgen, meine Tage verliefen in Anstand und Würde. Ich war nicht untätig, jedenfalls war ich in den Augen der Welt kein Müßiggänger. Ich war der gute Chef; auch in der Fabrik nannte man mich so.
    Und doch war das alles nichts als ein peinlich sorgfältiges, gewissenhaftes Zeittotschlagen. Das Leben bleibt leer, wenn man es nicht mit einer gefährlichen, aufregenden Aufgabe füllt. Diese Aufgabe kann natürlich nur eines sein: die Arbeit. Die andere Arbeit, die unsichtbare, die Arbeit der Seele, des Geistes, der Begabung, deren Schöpfungen die Welt reicher, wahrer, menschlicher machen. Ich las viel. Aber auch mit dem Lesen ist es ja so eine Sache. Von den Büchern hat man nur dann etwas, wenn man der Lektüre auch etwas zu geben vermag. Ich meine, wenn man mit einer Seele an sie herantritt, die bereit ist, im Zweikampf Wunden zu empfangen und zuzufügen, zu streiten, zu überzeugen und überzeugt zu werden, um dann, bereichert durch das Gelernte, im Leben oder in der Arbeit etwas daraus zu machen. Eines Tages ist mir bewußt geworden, daß ich zu meinen Lektüren keinen rechten Bezug mehr hatte. Ich las so, wie wenn man in einer fremden Stadt zum Zeitvertreib auch noch das Museum besucht und dort die ausgestellten Gegenstände mit höflicher Gleichgültigkeit betrachtet. Ich las aus Pflichterfüllung: Es kam ein neues Buch heraus, es wurde davon geredet, also mußte ich es lesen. Oder: Dieses berühmte alte Buch habe ich noch nicht gelesen, das ist eine Bildungslücke, ich will ihm morgens und abends je eine Stunde widmen, bis ich damit fertig bin. Auf diese Art las ich. Früher war das Lesen für mich ein Erlebnis gewesen, ich nahm die neuen Bücher der bekannten Schriftsteller mit Herzklopfen zur Hand, das neue Buch war wie die Begegnung mit einem Menschen, ein gefährliches Zusammensein, aus dem sich allerhand Gutes, Beglückendes oder auch beunruhigende, bedenkliche Konsequenzen ergeben konnten. Jetzt aber las ich so, als wäre es der Gang in die Fabrik oder das wöchentlich zwei-, dreimal stattfindende Gesellschaftsleben, der Theaterbesuch, die Abende zu Hause, mit meiner Frau, so aufmerksam und höflich und gleichzeitig so aufgewühlt von der laut und heiser schreienden Frage, ob ich nicht gefährdet war, ob es nicht schlimm um mich stand, ob vielleicht eine Intrige, eine Verschwörung gegen mich im Gange war, ob ich vielleicht eines Tages erwachen und vor die Tatsache gestellt würde, daß alles, was ich aufgebaut hatte, das Kunstwerk aus peinlicher Ordnung, aus Ansehen, aus guten Manieren und höflichem Zusammenleben eingestürzt war. Mit so einem Gefühl lebte ich. Und eines Tages fand ich in meiner Brieftasche aus braunem Krokodilleder, die mir meine Frau zum vierzigsten Geburtstag geschenkt hatte, ein altes violettes Band. Da begriff ich, daß Judit Áldozó all die Jahre auf mich gewartet hatte. Gewartet, bis ich nicht mehr feig war. Doch das geschah erst viel später, zehn Jahre nach dem Gespräch vom Weihnachtsnachmittag.
    Das violette Band – ich habe es nicht mehr, es ist abhanden gekommen, so wie auch die Brieftasche und wie überhaupt alles im Leben, so wie auch die abergläubischen Menschen von einst, die magische Gegenstände am Körper trugen –, das violette Band fand ich im innersten Fach der Brieftasche, wo ich nur eine Haarlocke meines verstorbenen kleinen Sohnes aufbewahrte. Es brauchte eine Weile, bis ich überhaupt begriff, was es mit dem Band auf sich hatte, wie es zu mir gekommen war, wer es getragen hatte, wie es Judit gelungen war, diesen Fetzen in meine Brieftasche zu schmuggeln. Nämlich so, daß sie von meiner Mutter zu uns geschickt worden war, um das sommerliche Großreinemachen zu leiten, denn meine Frau war in der Kur und ich allein zu Hause. Vielleicht war ich gerade im Bad, als sie ins Schlafzimmer kam und das Band in die Brieftasche steckte, die auf dem Tisch lag. Jedenfalls hat sie es später so erzählt.
    Was wollte sie damit? Nichts. Alle verliebten Frauen sind abergläubisch. Sie wollte, daß ich immer etwas bei mir hatte, das sie bis dahin am eigenen Körper getragen

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