Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
hatte. Sie wollte mich damit an sich binden, eine Botschaft senden. In Anbetracht ihrer Lebensumstände und ihres Weltbilds war diese abergläubische Schmuggelei ein wahres Attentat. Aber sie verübte es, weil sie auf mich wartete.
Als ich das alles begriff – denn das violette Band gab beredt seine Botschaft weiter –, da war ich, ich weiß es noch, seltsam verärgert. Ich hatte dieses kleine Attentat entdeckt, und jetzt blickte ich verärgert vor mich hin. Weißt du, wie wenn man merkt, daß alle ausgeklügelten Pläne ungültig sind, weil sie jemand durchkreuzt hat. Ich begriff, daß diese Frau, die im benachbarten Stadtviertel lebte, seit zehn Jahren auf mich wartete. Und jenseits des Ärgers spürte ich auch eine merkwürdige Ruhe. Ich will dieses Gefühl aber nicht übertreiben. Ich machte keine Pläne. Ich sagte mir nicht: »Aha, das war es also die ganze Zeit, das war es, was du dir nicht eingestanden hast, es gibt jemanden, der wichtiger ist als deine Lebensordnung, deine Rolle, deine Arbeit, deine Familie, es gibt in deinem Leben eine große, bizarre Leidenschaft, die du verdrängt hast, während sie dennoch lebt und dich erwartet, dich nicht losläßt. Und das ist gut so. Jetzt hat die Ruhelosigkeit ein Ende. Es ist nicht wahr, daß dein Leben und deine Arbeit völlig ziellos sind. Das Leben hat noch einiges vor mit dir.« Nein, das sagte ich mir nicht. Aber ich kann nicht leugnen, daß ich von diesem Augenblick an ruhig war. Wo laufen die großen, nachhaltigen Gefühlsvorgänge ab, in unseren Nerven oder auch in unserem Verstand? Mit dem Verstand hatte ich früher alles verdrängt. Mit den Nerven hingegen erinnerte ich mich. Und jetzt, da die andere ihre Botschaft gesandt hatte, auf so konventionelle, dienstmädchenhafte Art – jede verliebte Frau ist ein bißchen wie ein Dienstmädchen und würde ihre Briefe am liebsten auf Papier schreiben, in dessen Ecken gepreßte Rosen sind und über zwei ineinandergeschlungenen Händen sich zwei Tauben küssen, und sie möchte die Taschen des Erwählten mit Haarlocken, Taschentüchern und sonstigem abergläubischem Schnickschnack vollstopfen –, jetzt beruhigte ich mich. Als ob alles, meine Arbeit, mein Leben, ja, auch meine Ehe, auf geheimnisvolle Art doch noch einen schwerverständlichen, unverhofften Sinn bekommen hätte. Kannst du das verstehen?
Ich ja. Jetzt schon. Weißt du, im Leben muß sich alles ereignen, alles muß seinen Platz finden. Und das ist ein sehr langsamer Vorgang. Entschlüsse, Träume, Absichten helfen da nicht viel. Ist dir schon aufgefallen, wie schwer es ist, in einer Wohnung den endgültigen Platz für die Möbel zu finden? Es vergehen Jahre, man denkt, alles sei am richtigen Platz, und doch hat man den leisen Verdacht, etwas sei nicht ganz in Ordnung, vielleicht stehen die Sessel nicht am richtigen Ort, vielleicht gehörte ein Tisch an die Stelle des Geschirrschranks. Und dann, nach zehn oder zwanzig Jahren, geht man durch das Zimmer, wo man sich nie ganz wohl gefühlt hat, wo sich Raum und Mobiliar nicht fanden, und auf einmal sieht man den Fehler, sieht man den inneren Entwurf und die geheime Ordnung des Zimmers, und man verschiebt ein paar Möbel, und es dünkt einen, jetzt sei endlich alles in Ordnung. Und einige Jahre lang hat man tatsächlich das Gefühl, das Zimmer stimme jetzt. Noch später, vielleicht zehn Jahre danach, ist man doch wieder unzufrieden, denn so, wie wir uns verändern, ändert sich auch das Raumgefühl, und es gibt um einen Menschen herum nie eine definitive Ordnung. Und so ist es auch mit dem Leben selbst, wir konstruieren Methoden und denken lange Zeit, der Stundenplan unseres Lebens sei perfekt, vormittags arbeiten wir, nachmittags gehen wir spazieren, abends bilden wir uns. Und eines Tages merken wir, daß der Tagesablauf nur in umgekehrter Reihenfolge erträglich und sinnvoll ist, und wir verstehen gar nicht, wie wir jahrelang nach einer so unsinnigen Einteilung leben konnten. So verändert sich in und um uns alles. Und alles ist befristet, die neue Ordnung, die neue Seelenruhe, und auch die Veränderung geschieht nach einem eigenen Gesetz, das eines Tages verjährt ist. Warum? Vielleicht, weil auch wir eines Tages verjährt sind. Und alles, was zu uns gehört.
Nein, die »große Leidenschaft« war das nicht. Es gab mir einfach jemand zu verstehen, er sei da, er lebe in der Nähe und erwarte mich. So plump. So dienstbotenhaft. Als ob mich im Dunkeln zwei Augen beobachteten. Und es war kein schlechtes
Weitere Kostenlose Bücher