Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
Dauer eines längeren, rätselvollen Sichkennenlernens.
Die Frauen. Ist dir aufgefallen, wie unsicher, vorsichtig die Männer dieses Wort aussprechen? Als ob sie von einem nicht vollständig unterworfenen, ewig aufruhrbereiten, eroberten, aber ungebrochenen rebellischen Volksstamm sprächen. Was heißt denn dieses Wort im Alltag überhaupt? »Die Frauen.« Was erwarten wir von ihnen? Kinder? Hilfe? Frieden? Freude? Alles? Nichts? Augenblicke? Man lebt einfach, sehnt sich, macht Bekanntschaften, macht Liebe, dann heiratet man, erlebt in der Gesellschaft einer Frau Liebe, Geburt und Tod, und dann dreht man sich auf der Straße nach schlanken Beinen um, ruiniert sich wegen prachtvoller Haare oder wegen eines heißen Kusses, hat womöglich in bürgerlichen Betten oder auf den durchgelegenen Matratzen schmutziger Stundenhotels für Augenblicke das Gefühl, befriedigt zu sein, ist manchmal erhebend großzügig zu einer Frau, manchmal weint und schwört man, daß man auf ewig zusammenbleiben wird, auf einem Berggipfel oder in einer Großstadt. Doch dann vergeht die Zeit, ein Jahr oder drei Jahre oder zwei Wochen – ist dir aufgefallen, daß die Liebe, so wie der Tod, keine mit Uhr und Kalender berechenbare Zeit hat? –, und der große Plan, das große Unterfangen, ist mißlungen, oder ist nicht ganz so gelungen, wie man sich das vorgestellt hat. Und so trennt man sich, in Zorn oder in Frieden, und beginnt alles wieder von vorn, die Hoffnung, die Suche. Oder man kann nicht mehr, man bleibt zusammen und entzieht einander Lebenslust und Lebenskraft, man wird krank, man bringt einander um, man stirbt. Und im allerletzten Augenblick, da man die Augen schließt, versteht man? Was hat man voneinander gewollt? Man hat bloß gehorcht, einem großen, blinden Gesetz, das mit dem Hauch der Liebe seinen Befehl durchsetzt, der lautet, daß die Welt erneuert werde, mit Hilfe von sich paarenden Männern und Frauen, zum Weiterbestehen der Gattung. Ist das alles? Und wir selbst, wir Ärmsten, was hatten wir eigentlich für uns selbst erhofft? Was hatten wir einander gegeben, was voneinander bekommen? Was ist das für eine geheimnisvolle, furchtbare Buchhaltung? Und gilt es wirklich der Person, wenn ein Mann sich einer Frau zuwendet? Gilt es nicht vielmehr der Sehnsucht, immer nur der Sehnsucht, die zuweilen für kurze Zeit in körperlicher Gestalt erscheint? Und diese künstliche Erregung, in der wir leben, konnte doch wohl nicht das Ziel der Natur gewesen sein, als sie den Mann schuf und ihm eine Frau zur Seite gab, da sie sah, daß es nicht gut ist, wenn er allein ist.
Schau dich um auf der Welt, aus allem strahlt diese künstliche Anziehung, aus der Literatur, aus den Bildern, von der Bühne, von der Straße. Geh in ein Theater, im Zuschauerraum sitzen Männer und Frauen, auf der Bühne agieren Männer und Frauen, reden, schwören, im Zuschauerraum husten sie und räuspern sich. Doch wenn das Wort fällt: »Ich liebe dich« oder das andere: »Ich begehre dich« oder sonst etwas Ähnliches, das an die Liebe, den Besitz oder den Verlust, das Glück oder das Unglück erinnert, wird es im Zuschauerraum sogleich totenstill, Tausende von Menschen halten den Atem an. Und damit arbeiten die Schriftsteller, damit erpressen sie die Menschen im Zuschauerraum. Und wohin man auch geht, überall diese künstlichen Anreize, die Parfums, die bunten Fetzen und teuren Pelze, die halbnackten Körper, die fleischfarbenen Strümpfe, alles nicht wirklich funktional, denn auch im Winter ziehen sie sich ja nicht wärmer an, sie wollen ihre seidenbestrumpften Knie zeigen, und im Sommer, an den Ufern der Gewässer, tragen sie nur deshalb eine Art Lendenschurz, weil die weibliche Erscheinung auf diese Art verlockender und erregender ist, und all die Schminke, die roten Zehennägel, der blaue Lidschatten, das goldblonde Haar, das viele Zeug, mit dem sie sich einstreichen und aufdonnern, das alles ist doch ungesund.
Ich war schon fast fünfzig, als ich Tolstoi verstanden habe. Du weißt ja, die Kreutzersonate . Er spricht in diesem Meisterwerk von der Eifersucht, aber das ist nicht der Punkt. Er spricht von der Eifersucht, wahrscheinlich weil er selbst ein quälend sinnliches und eifersüchtiges Naturell hatte. Doch die Eifersucht ist nichts anderes als erbärmliche, verachtenswerte Eitelkeit. Ich kenne dieses Gefühl. Kenne es gut. Bin fast daran gestorben. Nun bin ich nicht mehr eifersüchtig. Verstehst du? Glaubst du es? Schau mich an. Nein, mein Alter, ich
Weitere Kostenlose Bücher