Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
meinst du? Ein reiner Wein, am nächsten Morgen erwacht man frisch und ohne Kopfschmerzen. Ich kenne ihn gut. Herr Ober, noch eine Flasche Kéknyelű.
Kalter Rauch steht jetzt hier im Raum. Für mich ist das der beste Moment. Es sind nur noch die Nachtschwärmer da, siehst du. Die Einsamen und Weisen, oder Hoffnungslosen und Verzweifelten, denen alles gleich ist, wenn sie nur irgendwo sein können, wo die Lampen brennen und Fremde in der Nähe sitzen, wo sie einsam bleiben können, aber so, daß sie nicht nach Hause zu gehen brauchen. Es ist schwer, nach Hause zu gehen, in einem bestimmten Alter, nach bestimmten Erfahrungen. So ist es noch am besten, unter fremden Menschen, einsam, ohne Beziehungen. Der Garten und die Freunde, hat Epikur gesagt, etwas anderes gibt es nicht. Ich glaube, er hatte recht. Aber auch an Garten braucht es nicht so viel, manchmal genügen ein paar Blumentöpfe auf einer Kaffeehausterrasse. Und ein, zwei Freunde sind auch genug.
Herr Ober, Eis bitte … Prosit.
Wo war ich?
Ach ja. Die Zeit, da ich wartete.
Ich merkte nur so viel, daß mich die Menschen zu beobachten begannen. Zuerst meine Frau. Dann in der Fabrik, im Klub, in der Welt. Meine Frau bekam mich da nicht mehr oft zu Gesicht. Manchmal beim Mittagessen. Abends seltener. Gäste empfingen wir schon seit längerer Zeit nicht mehr. Ich wies die verschiedenen Einladungen zurück, zuerst irritiert, dann bewußt, und ich duldete nicht, daß Gäste zu uns eingeladen wurden. Denn alles war so peinlich und unwahrscheinlich, unser Zuhause, der Haushalt, weißt du. Es war alles sehr schön und genau so, wie es sich gehört, die Räume, die gefälligen Bilder, die Kunstgegenstände, der Diener und das Zimmermädchen, das Porzellan und das Silber, die feinen Speisen und Getränke. Bloß fühlte ich mich nicht wie der Hausherr, fühlte mich nicht zu Hause, meinte nicht, nie, keinen Augenblick, das sei mein wahres Daheim, wohin ich gern Leute einlade. Es war, als ob wir Theater spielten, meine Frau und ich, als ob wir den Gästen fortwährend beweisen wollten, daß das eine echte, reale Wohnung sei. Und sie war es doch nicht! Warum nicht? Man kann nicht mit den Tatsachen streiten. Aber die einfachen, starken Tatsachen bedürfen auch keiner Erklärung.
Wir begannen zu vereinsamen. Die Welt hat ein feines Gehör. Es genügen ein paar Zeichen, ein paar falsche Züge, und der Neid, die Neugier und die Mißgunst bekommen über ihr feingesponnenes Spionagenetz Wind von den Dingen. Es genügt, ein paar Einladungen abzusagen, es genügt, eine Einladung, die man angenommen hat, nicht rechtzeitig zu erwidern, und über diese Signale vernimmt der gesellschaftliche Mechanismus, daß jemand aus der herrschenden Ordnung abspringen will, und schon weiß man, daß mit der und der Familie, mit dem und dem Ehepaar etwas nicht stimmt. Dieses »Etwas stimmt nicht« haftet der Familie an, als hütete sie in der Wohnung jemanden mit einer ansteckenden Krankheit, als hätte der Amtsarzt einen roten Zettel an die Wohnungstür geklebt. Die anderen benehmen sich einer solchen Familie gegenüber auf einmal sehr taktvoll und ein bißchen spöttisch und reserviert. Natürlich hofft man auf einen Skandal. Nichts wünscht man sich sehnlicher als den Zerfall eines Hauses. Das ist ein richtiges Fieber in der Gesellschaft, eine Art Epidemie. Du betrittst allein ein Kaffeehaus oder ein Restaurant, und schon wird geflüstert: »Hast du’s gehört? Die haben Probleme, sie sind in Scheidung, der Mann hat die Frau mit ihrer besten Freundin betrogen.« So hofft man. Aber wenn du mit deiner Frau irgendwohin gehst, wird ebenfalls gezwinkert, Köpfe werden zusammengesteckt, und es heißt im Ton des Eingeweihtseins: »Sie gehen zwar miteinander aus, aber das hat nichts zu bedeuten. Ist bloß eine Alibiübung.« Und du begreifst allmählich, daß die Leute recht haben, auch dann, wenn sie die Wahrheit gar nicht kennen, wenn die Einzelheiten plumpe Lügen sind. In den wesentlichen Angelegenheiten ist die Gesellschaft auf geheimnisvolle, zuverlässige Art informiert. Lázár hat einmal halb ernsthaft, halb im Scherz gesagt, nichts sei wahr, es sei denn der Klatsch. Im allgemeinen gibt es unter den Menschen keine Geheimnisse. Wir erfahren über Kurzwellen voneinander, bis hin zu den verborgensten Gedanken. Wörter und Handlungen sind nur die Konsequenzen dieses Wissens. Daran glaube ich. Also, auf diese Art lebten wir. Der feine Zerfall hatte begonnen. Weißt du, wie wenn man vor der
Weitere Kostenlose Bücher