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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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nächsten Tag heiratete ich Judit.
    In diesen sechs Monaten riß natürlich jede Beziehung zu der Welt ab, zu der ich vor kurzem noch so unmittelbar gehört hatte, wie man zu einer Familie gehört. In der Fabrik verrichtete ich zwar meine Arbeit, aber in meinen Kreisen und überhaupt in dem verworrenen Gebilde, das man die »Welt« nennt, sah man mich nicht mehr. Eine Zeitlang wurde ich noch eingeladen, mit verlogenem Wohlwollen und unverhohlener Schadenfreude und Neugier. Man wollte den Rebellen sehen. Man wollte ihn in die Salons schleppen, wo man von anderem reden und ihn unterdessen spöttisch beobachten würde wie einen Geistesgestörten, der von einem Moment auf den andern etwas Überraschendes tun oder sagen konnte. Ein solcher Mensch ist zwar ein wenig beängstigend, aber auch interessant, ein Amüsement für die Gesellschaft. Leute, die sich meine Freunde nannten, suchten ernst und geheimnisvoll den Kontakt mit mir: Fest entschlossen, mich zu »retten«, schrieben sie mir Briefe und suchten mich in meinem Büro auf. Und am Ende waren alle beleidigt und überließen mich meinem Schicksal. Nach kurzer Zeit redete man von mir bereits wie von jemandem, der Geld veruntreut oder moralisch über die Stränge geschlagen hat.
    Und doch waren diese sechs Monate alles in allem ein ruhiger, ja, friedlicher Abschnitt meines Lebens. Die Wirklichkeit ist immer einfach und beruhigend. Judit wohnte auf der Insel und aß jeden Abend mit mir. Sie war gelassen und wartete ab. Sie hatte es nicht eilig, sie schien etwas verstanden zu haben, nämlich daß Eile und Überstürzung unnötig waren, da sich alles zu seiner Zeit vollziehen würde. Wir beobachteten einander wie Fechter vor dem Zweikampf. Denn damals glaubten wir noch, daß diese unsere Angelegenheit das große Duell des Lebens wäre. Wir würden auf Leben und Tod kämpfen und am Ende verwundet, aber ritterlich Frieden schließen. Ich hatte ihretwegen meine gesellschaftliche Stellung, die bürgerlichen Konventionen, meine Familie und eine mich liebende Frau aufgegeben. Judit hatte meinetwegen nichts aufgegeben, war aber zu jeglichem Opfer bereit. Jedenfalls hatte sie gehandelt. Eines Tages schlägt das Warten in Tun um.
    Ich begriff nur sehr langsam, was in Wirklichkeit zwischen uns vorging. Auch sie begriff es nur langsam. Es gab zwischen uns und um uns herum niemanden, der uns gewarnt hätte. Lázár lebte schon im Ausland, ein wenig so, als wäre er aus lauter Gekränktsein schon tot. Es gab keinen Augenzeugen mehr, niemand setzte mir Schranken.
    Von dem Augenblick an, da wir uns in jenem drittklassigen Bahnhofshotel getroffen hatten, lebten wir beide wie Auswanderer, die an einem wildfremden Ort versuchen, sich unauffällig in die neuen Sitten zu fügen, sich unter die neuen Menschen zu mischen. Sie tun alles, um nicht aufzufallen, und vor allem schwelgen sie nicht in Gefühlen, sie denken nicht mehr an die verlassene Heimat, die verlorenen Nächsten. Wir sprachen nicht davon, wußten aber beide, daß alles Gewesene keine Bedeutung mehr hatte. Wir warteten und beobachteten.
    Soll ich der Reihe nach erzählen? Ermüdet es dich nicht? … Ich will mich auf das Wesentliche beschränken. Nach der ersten Erschütterung, als ich im Hotelzimmer an der Donau allein geblieben war und man mir mein Gepäck gebracht hatte, schlief ich ein. Ich schlief lange und erschöpft, es war schon später Abend, als ich erwachte. Das Telephon hatte nicht geklingelt, weder Judit noch meine Frau suchten mich. Was taten sie wohl in jenen Stunden, da die eine wissen mußte, daß sie mich verloren hatte, und die andere Grund hatte anzunehmen, daß sie ihren mehrjährigen, stummen kleinen Krieg gewonnen hatte? Sie saßen an den beiden Enden der Stadt, jede in ihrem Zimmer, und dachten selbstverständlich nicht an mich, sondern an die Rivalin. Sie wußten, daß noch nichts zu Ende war, daß ihr Zweikampf jetzt in eine schwierigere Phase trat. Ich schlief wie betäubt. Als ich dann am Abend aufwachte, rief ich Judit an. Sie antwortete ruhig; ich bat sie, auf mich zu warten, ich würde sie abholen, denn ich wolle mit ihr reden.
    An jenem Abend begann meine Bekanntschaft mit dieser seltsamen Frau. Wir gingen in ein Restaurant in der Innenstadt, wo wenige Bekannte verkehrten. Wir setzten uns an den gedeckten Tisch, der Kellner brachte die Speisekarte, ich bestellte für uns beide, wir sprachen leise von belanglosen Dingen. Während des Essens beobachtete ich verstohlen Judits Bewegungen. Sie wußte,

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