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Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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ein bißchen lebensgefährlich. Doch der Arzt konnte nichts tun. Niemand konnte etwas tun. Ich auch nicht, so fühlte ich eine Zeitlang. Was mir fehlte? … Schwer zu sagen. Natürlich wäre es am einfachsten, zuzugeben, daß in dem Augenblick, da diese Frau, die ihre Jugend in meiner Umgebung verbracht hatte und von deren Körper und Wesen ein persönlicher Ruf an mich ergangen war, daß sie mit ihrer Abreise etwas in mir Lauerndes zur Explosion gebracht hatte. Ja, sie hatte den Minenbrand ausgelöst, nachdem in den Schächten der Seele schon alles brennbare Material aufgehäuft worden war. Klingt sehr schön. Stimmt aber auch nicht ganz. Soll ich sagen, daß ich jenseits der Überraschung, des Vor-den-Kopf-gestoßen-Seins auch eine feine, unvorhergesehene und zaghafte Erleichterung empfand? Denn so war es, wenn auch nicht nur so; richtig ist auch, daß ich anfangs vor allem aus Eitelkeit litt. Ich wußte genau, daß diese Frau meinetwegen ins Ausland gegangen war, ich war heimlich erleichtert, wie jemand, der in einer Stadtwohnung ein gefährliches Tier verborgen hält, das eines Tages genug hat und sich davonmacht, in den Urwald zurück. Gleichzeitig war ich beleidigt, denn nach meinem Gefühl hatte sie kein Recht wegzugehen. Als ob mein persönlicher Besitz gegen mich aufbegehrt hätte. Ja, ich war eitel. Dann verging die Zeit.
    Eines Tages wachte ich auf und wurde gewahr, daß sie mir fehlte.
    Das ist das erbärmlichste Gefühl. Wenn jemand fehlt. Man blickt um sich, versteht nicht. Streckt die Hand aus, tastet nach einem Glas, einem Buch. Alles an seinem Platz, die Gegenstände, die Personen, die gewohnte Zeiteinteilung: Das Verhältnis zur Welt hat sich nicht verändert. Bloß fehlt etwas. Man verschiebt die Möbel im Zimmer. War es nicht das? Nein. Man verreist. Die Stadt, die man schon lange hatte sehen wollen, empfängt einen in düsterer Pracht. Man steht früh auf, eilt auf die Straße hinunter, Reiseführer und Stadtplan in der Hand, man sucht das berühmte Bild über dem Altar einer Kirche, man bestaunt die Bögen der berühmten Brücke, im Restaurant serviert der Kellner mit lokalpatriotischem Stolz die typischen Spezialitäten. In der Nähe wächst Wein, betörend wie kein anderer. Große Künstler haben hier gelebt und ihre Geburtsstadt verschwenderisch mit Kunstwerken vollgestopft. Man geht an Fenstern, Toren und unter Giebeln vorbei, deren Schönheit und edle Linien in weltberühmten Büchern ausführlich abgehandelt werden. Mittags und abends füllen sich die Straßen mit schönäugigen, leichtfüßigen Frauen und Mädchen. Es ist ein stolzes Volk, stolz, selbstbewußt schön und erotisch. Blicke fliegen einem zu, wohlwollende oder solche, die den Einsamen mit sachter Überheblichkeit verspotten, weibliche Blicke, die locken und Botschaften senden und kleine Funken sprühen. Nachts erklingt am Flußufer Musik, im Licht bunter Papierlampions wird gesungen, man trinkt süßen Wein und tanzt. An solchen musikdurchfluteten und mit freundlichem Licht lockenden Orten erwarten auch dich ein Tisch, eine Frau, ein freundliches Wort. Du schaust dir alles an wie ein beflissener Student, von morgens an marschierst du durch die Stadt, den Reiseführer in der Hand, aufmerksam, gewissenhaft und eifrig, als hättest du Angst, etwas zu verpassen. Überhaupt verändert sich das Zeitgefühl. Man erwacht auf die Minute, als müßte man sich peinlich genau an eine Ordnung halten. Als würde man erwartet. Das ist es natürlich, aber man wagt es sich lange nicht einzugestehen. Wagt sich nicht einzugestehen, daß man meint, je genauer die Ordnung, um so eher würde man erwartet. Man brauche bloß sehr aufmerksam und pünktlich zu sein, früh aufzustehen und spät schlafen zu gehen, viele Menschen zu treffen, hierhin und dorthin zu fahren, bestimmte Räume zu betreten, und dann würde man dem, der wartet, schließlich begegnen. Man weiß natürlich, daß diese Hoffnung völlig kindisch ist. Man setzt auf die endlosen Zufälle der Welt. Der Polizeioffizier weiß nur, daß sie ausgereist ist, irgendwo nach England. Auf der englischen Botschaft wissen sie auch nicht mehr, oder sie wollen nichts Näheres sagen. Eine geheimnisvolle Trennwand steht zwischen dir und der Verschwundenen. In England leben siebenundvierzig Millionen Menschen, dort gibt es die am dichtesten bewohnten Städte der Welt. Wo soll man suchen?
    Und wenn man sie gefunden hat, was soll man zu ihr sagen?
    Und doch erwartet man sie. Noch eine Flasche, was

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