Wandlungen einer Ehe: Roman (German Edition)
es alle geheimnisvollen Elemente des Lebens tun, so wie die Zeit, in der alles geschieht. Auf einmal verstehst du, daß alles planmäßig geschehen ist: Zuerst war da die Neugier, dann das Warten, dann die Arbeit und schließlich die Einsamkeit. Du willst nichts mehr, du hoffst auf keine neue Frau, die dich tröstet, auf keinen neuen Freund, dessen weise Reden deine Seele erlösen. Jede menschliche Rede ist eitel, auch die weiseste. In jedem menschlichen Gefühl sind Egoismus, hartnäckige Absicht, feine Erpressung, unüberwindbare, hoffnungslose Zwänge. Wenn man das weiß, wenn man von den Menschen wirklich nichts mehr will, von den Frauen keine Hilfe mehr erwartet, wenn man den verdächtigen Preis und die beängstigenden Konsequenzen des Geldes, der Macht und des Erfolgs kennt, wenn man vom Leben nichts anderes mehr will, als sich irgendwo zurückziehen zu dürfen, ohne Gefährten, ohne Hilfe und Bequemlichkeit, um auf die Stille zu horchen, die allmählich in der Seele zu rauschen beginnt, so wie sie an den Ufern der Zeit rauscht. Dann hat man das Recht wegzugehen.
Jeder Mensch hat das Recht, sich allein, in heiliger Stille auf den Abschied und den Tod vorzubereiten. Seine Seele noch einmal zu leeren, sie so leer und ehrfürchtig werden zu lassen, wie sie zu Anfang der Zeiten gewesen ist, in der Kindheit. Auf diese Art ist Lázár eines Tages nach Rom gegangen. Ich selbst bin jetzt an dem Punkt angelangt, wo ich allein bin. Doch vorher habe ich einen langen Weg zurücklegen müssen. Habe lange gehofft, es gebe eine andere Lösung. Die gibt es aber nicht. Am Ende, oder kurz vor dem Ende, muß man allein bleiben.
Zuvor aber habe ich Judit Áldozó geheiratet. Denn das war die Ordnung der Dinge.
Eines Nachmittags um vier klingelte in meinem Zimmer das Telephon. Meine Frau nahm ab. Da wußte sie schon alles, wußte, daß ich krank war vor wahnwitziger Erwartung. Sie behandelte mich wie einen Schwerkranken, war zu allen Opfern bereit. Natürlich, als dann die Reihe an sie kam, vermochte sie kein wirkliches Opfer zu bringen: Sie kämpfte bis zum letzten Augenblick um mich. Doch da war die andere schon stärker, und ich ging mit ihr weg.
Meine Frau nahm also ab, fragte etwas. Ich saß zwischen meinen Büchern, mit dem Rücken zum Telephon, und las. Ich hörte dem Zittern ihrer Stimme an, daß der Augenblick gekommen war, daß etwas geschah, daß das Warten, die Anspannung ein Ende hätten und daß jetzt eintreten würde, worauf wir uns alle seit Jahren vorbereiteten. Sie kam mit dem Apparat in der Hand wortlos zu mir, stellte ihn auf das Tischchen und ging aus dem Zimmer.
»Hello«, sagte eine vertraute Stimme, die Stimme Judits. So manieriert sagte sie es, als könnte sie nicht mehr Ungarisch.
Dann sagte sie nichts mehr. Ich fragte, wo sie jetzt sei. Sie nannte die Adresse eines Hotels in Bahnhofsnähe. Ich hängte auf, holte Hut und Handschuhe, ging die Treppe hinunter und dachte an vieles, bloß an das eine nicht, daß ich jetzt zum letztenmal im Leben über die Treppe meines Hauses hinunterging. Damals hatte ich noch einen Wagen, der immer vor dem Haus stand. Ich fuhr zu dem leicht suspekten Bahnhofshotel. Judit saß in der Halle, inmitten ihres Gepäcks. Sie trug einen karierten Rock, eine blaßblaue Wolljacke, feine Handschuhe und einen Reisehut. So gelassen saß sie in der drittklassigen Hotelhalle, als wäre die ganze Situation, ihre Abreise und ihre Heimkehr, eine zwischen uns vereinbarte Sache.
Sie gab mir die Hand, ganz Dame. »Soll ich hierbleiben?« fragte sie, blickte um sich und zeigte ratlos auf ihre Umgebung, als hätte sie beschlossen, daß ich in allem entscheiden sollte.
Ich gab dem Portier Geld und ließ ihr Gepäck in meinem Wagen verstauen. Sie folgte mir wortlos und setzte sich neben mich auf den Beifahrersitz. Ihr Gepäck war schön, Ledertaschen, englische Ware, mit den Aufklebern ausländischer Hotels. Ich weiß noch, daß mich diese anspruchsvolle Ausrüstung im ersten Moment mit einer Art grotesker Befriedigung erfüllte. Ich war froh, mich für Judits Gepäck nicht schämen zu müssen. Wir fuhren zum Inselhotel, wo ich für sie ein Zimmer nahm. Ich selbst ging in ein Hotel am Donauufer, von dort telephonierte ich nach Hause und bat darum, mir einen Koffer mit Anzügen und Wäsche zu schicken. Ich betrat meine Wohnung nie wieder. Sechs Monate lang lebten wir so, meine Frau zu Hause, Judit im Inselhotel, ich im Hotel an der Donau. Dann wurde die Scheidung ausgesprochen, und am
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