Wanja und die wilden Hunde
Hunden. Lieber nicht. Nein, nein.« Sie schüttelt bekräftigend den Kopf und bietet uns einen Selbstgebrannten an. Es ist zwölf Uhr und die Mittagssonne brennt heiß auf unseren Köpfen.
»Danke, Luba, aber nein. Wir müssen noch zu Kolja und dann das Gepäck holen und wir haben eine weite Reise hinter uns«, wehrt Vera ab. »Aber willst du es dir mit dem Hund nicht überlegen? Ein Hof braucht doch einen Hund.« Bambino flaniert wie aufs Stichwort schwanzwedelnd über den Hof.
Baba Luba betrachtet ihn ernsthaft und sagt: »Der ist mir zu fröhlich, der läuft nur wieder davon.«
Mit diesem Argument haben wir nicht gerechnet. Tatsächlich: Wenn man keinen fröhlichen Hund möchte, ist Bambino definitiv nicht der Richtige.
»Siehst du. Jetzt hast du ihn an der Backe, und wenn wir auf Tournee sind, kann dieses Kerlchen nicht allein zurückbleiben. Das sieht man doch«, sagt Vera und blickt ratlos auf den Hund.
»Wir werden eine Lösung finden«, entgegne ich entschieden, und ein schmerzhafter Stich durchfährt mich vor Sehnsucht nach Wanja.
Auf dem Weg vor dem Haus meines Nachbarn liegt Anton. Als er uns sieht, kommt er leise schnaufend und freudig schwanzwedelnd auf uns zu. Er drückt seinen buschigen roten Kopf an meine Beine, und ich gehe in die Hocke, um ihn zu begrüßen.
Bambino wackelt mit dem gesamten Hinterteil und leckt Anton die Lefzen. Dann wälzt er sich begeistert vor ihm auf dem Boden. Der große Anton starrt interessiert auf den kleinen Braunen und wartet, bis Bambino sich beruhigt hat. Dann wedelt auch er mit dem Schwanz und deutet eine kurze Spielaufforderung an, die ich bei Anton noch nie gesehen habe. Ich blicke sprachlos zu Vera.
»Die Dorfhunde unterwegs haben ja auch nur kurz gekläfft und dann mit dem Schwanz gewedelt«, wirft sie ein.
»Ein Charmebolzen«, sage ich auf Deutsch, denn mir fällt keine russische Entsprechung dazu ein.
Ich klopfe beim Nachbarn und frage nach Wanja. Er führt mich in den Hof, deutet auf seine lädierte Scheunentür, die eine improvisierte Reparatur aufweist, und sagt: »Durchbrochen hat er sie, als du weggefahren bist. Als ich vom Feld zurückkam, war die Tür kaputt und der Hund weg.«
»Das tut mir leid«, sage ich entsetzt – mehr über Wanjas augenscheinliche Verzweiflung als über die kaputte Tür. »Kann ich sie dir ersetzen? Hast du ihm Futter hingestellt? Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?«
»Das Futter hat er sich nicht mehr geholt, er ist seitdem verschwunden. Meiner hat es gefressen. Ich hab ihm dann nichts mehr hingestellt. Aber Bauer Mitja hat ihn im Wald gesehen.«
»Ja, ja, der hat gejagt, als ich ihn traf, und geknurrt, als er mich sah«, erzählt Mitja, als ich ihn aufsuche. »Gut, dass er jetzt wieder da ist, wo er herkam«, fügt er, nicht ohne einen leisen Vorwurf in der Stimme, hinzu und schaut in Richtung Wald.
Mich macht die Nachricht glücklich und unglücklich zugleich. Gut ist zu hören, dass Wanja noch selbstständig sein kann, traurig ist der Gedanke, dass ich ihn nie wiedersehen werde.
Anton hat seinen alten Platz vor meinem Haus bezogen, Bambino liegt auf dem Teppich neben meinem Bett. Noch hat er Schonzeit und darf im Haus bleiben, bis er wieder ganz hergestellt ist.
Ich bin nach der langen Reise eingeschlafen, und es dauert einen Moment, ehe ich das Hundefiepen auch außerhalb meines Traumes wahrnehme. Es ist leise, aber durchdringend. Ich schaue auf. Bambino schläft.
Wie vom Blitz getroffen springe ich hoch und lausche. Das Fiepen ist vor dem Fenster zum Hof zu hören. Durch die Gardine sehe ich einen vertrauten Kopf, und mein Herz macht einen gewaltigen Sprung.
Ich renne aus dem Haus, öffne die Hintertür und falle vor Wanja auf die Knie. Erst jetzt, als meine Anspannung abfällt, spüre ich das ganze Ausmaß meiner Angst. Ich weine und bin dann ganz stumm vor Glück. Ich werfe mich auf den Boden, Wanja wirft sich neben mich und es wird geschmust, was das Zeug hält.
Ich will nie wieder wegfahren in diesem Moment.
Ein fremdes Bellen gerät dazwischen.
Es ist Bambino, den ich in der Aufregung ganz vergessen habe. Wanja springt auf und stellt sich knurrend vor ihn. Wenn ich bis dahin angenommen habe, Bambinos Charme bereits zu kennen, werde ich jetzt eines Besseren belehrt. Bambino legt sich so ins Zeug, dass ich ihm einen Oscar überreichen würde, wenn es so etwas für Hunde gäbe.
Er tippelt um Wanja herum wie eine Primaballerina der Sonderklasse. »Schau doch mal, wie toll ich tippeln kann«,
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