Wanja und die wilden Hunde
»Sitz« oder »Warte« von unseren Hunden verlangen.
Wanja, Anton und Laska spitzen schon zuvor die Ohren, verlangsamen ihr Tempo jedoch nicht und gehen völlig entspannt weiter, solange sie nichts wahrnehmen, was Gefahr bedeuten könnte. Ist aber ein Zug zu hören, bleiben sie stehen oder entscheiden sich dafür, noch zügig über das Gleis zu laufen – je nach Entfernung des Zuges. Dies ist möglich, weil sie die anderen jederzeit stoppen könnten, falls Gefahr drohen würde.
Einmal, als der Zug bereits zu hören ist, toben die beiden Junghunde gefährlich nah am Gleis. Wanja schießt nach vorn, läuft mit einem Knurren genau zwischen den beiden hindurch und trennt sie auf diese Weise. Danach entfernt er sich, und die beiden folgen ihm. Diese Form zu agieren kann ich bei allen »Erziehungsversuchen« beobachten. Die souveränen Hunde mischen sich nur ein, wenn unmittelbar Gefahr droht oder zu viel Unruhe entsteht. Ansonsten können die jungen Hunde die Welt erkunden, herumtoben und auch einmal allen auf die Nerven fallen.
Die erzieherisch wirkenden Hunde reagieren mit einem »Stopp« und einer Konsequenz, wenn das Stopp nicht gereicht hat – und dies auf ihre eigene, ganz individuelle Art. Bei Wanja reicht meist ein Blick. Jeder Hund weiß, dass eine Konsequenz folgen würde. Laska hebt neben einem ernsten Blick mitunter auch nachdrücklich die Lefze. Anton schränkt die Jungspunde eher in ihrer Bewegung ein, indem er sie mit seiner Breitseite abfängt. Baba »kreischt« kurz auf (und entblößt dabei beide Zahnreihen), wenn sie im Spiel von den beiden überrannt wird, und schnappt mit einer – für ihre Sanftmut erstaunlichen – Entschiedenheit hinter ihnen her. Milyi bringt sich normalerweise unter dem Haus in Sicherheit, weiß sich aber bei Bedrängnis zu wehren, indem er knurrend warnt und notfalls auch einmal kurz zuschnappt.
Nur Husar blickt ratlos, wenn die Junghunde an ihm vorbei oder über ihn hinwegfegen. Körperlich ist Husar allen anderen überlegen. Aus ihm ist ein großer, stattlicher Kerl geworden, was ihm selbst oder dem Rudel jedoch nur indirekt hilft. Als Anton und ich einmal um eine Ecke biegen, hinter der ein Hund steht, bricht dieser in hysterisches Bellen aus, als er Anton sieht. Einen Augenblick später taucht Husar auf. Der fremde Hund will Anton gerade attackieren, hält jedoch mitten in der Bewegung inne, als er Husar erblickt. Er macht blitzschnell kehrt und rennt davon. Husar erzeugt (zumindest bei einer Erstbegegnung) noch mehrfach diese Wirkung. Hinzu kommt, dass er weder droht noch beschwichtigt. Seine ausdruckslose Art erinnert mich an die Haushälterin eines Hitchcock-Films, die wie aus dem Boden geschossen plötzlich dasteht und einfach regungslos starrt. Diese Figur war mir immer unheimlicher als der Mörder selbst. Husar ist so ein »Erschrecker« und trägt daher ganz unbewusst zur Deeskalation einiger Situationen bei.
Unterwegs halten sich Anton und Husar vorwiegend vorne auf und Anton informiert das Rudel, wenn etwas in Sichtweite kommt und eine Entscheidung getroffen werden muss. (Husar macht meinem Empfinden nach einfach mit.)
Mitunter jedoch, wenn Anton auf dem Boden etwas zum Schnüffeln gefunden hat und dadurch zurückbleibt, hat sofort ein anderer wie Milyi oder Laska die Lage im Blick. Wanja begutachtet kurz, was der Späher meldet, und trifft eine Entscheidung: weitergehen oder ausweichen – und auf welche Weise.
Bei friedlichen Dorfhunden, die nur lautstark auf ihr Territorium aufmerksam machen, entscheidet er sich meist dafür, ruhig vorbeizulaufen, demonstrativ wegzuschauen, sich über die Schnauze zu lecken oder auch Felix in Schach zu halten, wenn der die Lage kläffend und nach vorn schießend anheizt.
An Dorfhunden, mit denen wir schon schlechte Erfahrungen gemacht haben, geht Wanja mit deutlichem Abstand am äußersten Rand des Weges zügig vorbei. Obwohl meine Hunde immer in der Überzahl gegenüber den einzelnen Revierwächtern sind und Wanja allein schon oft kräftiger ist als sie, trägt er zur Deeskalation einer Situation bei, wann immer es möglich ist.
Auch Bambino leistet auf seine Weise oft einen guten Beitrag in brenzligen Situationen. Der inzwischen erwachsene Hund hat nichts von seinem Spieltrieb und seiner Fröhlichkeit verloren.
Kommen andere Hunde in Sicht, die Bambino toll findet, weiß er nicht mehr ein noch aus vor Freude. Er rast dann in sicherer Entfernung auf und ab, wie um zu testen, ob der andere seine Freude zu teilen
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