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Wanja und die wilden Hunde

Wanja und die wilden Hunde

Titel: Wanja und die wilden Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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Kindern.
    Baba Dina muss gerade viel Unglück verkraften, und ich bin erstaunt, wie ruhig sie davon berichtet. Ihre Tochter wurde von ihrem Mann mit drei Kindern sitzen gelassen. Das Enkelchen ihrer zweiten Tochter hat Leukämie und eine ihrer Schwestern ist gestorben. Erst als sie berichtet, dass nun auch das Millionenerbe futsch sei, keimt in mir ein Verdacht auf.
    »Redest du gerade von deiner Familie?«, frage ich sie.
    »Natürlich! Von meiner Tochter und von der Tochter in Santa Barbara «, sagt sie treuherzig.

Die Post ist da!
    Ein Ereignis im Dorf ist immer auch die Ankunft der Briefträgerin.
    Da man von ihr nicht verlangen kann, täglich zwei Flüsse zu überqueren und achtzehn Kilometer zu Fuß hin- und zurückzugehen, kommt sie nur einmal im Monat. Bauer Iwan aus Demuschkina bringt sie mit seinem Ruderboot über den ersten Fluss. An unserem Fluss wartet dann Kolja mit dem Boot auf sie.
    Sie bringt Briefe von den Kindern und längst überfällige Telegramme an mich und Vera. Auch ein paar Zeitungen sind dabei, die bei ihrem Eintreffen in Lipowka oft drei Wochen alt sind und die dann noch einmal drei Wochen brauchen, um durch das ganze Dorf zu gehen.
    Weil die Briefträgerin auch die Rente für alle mit sich führt, wird sie von einem Polizisten begleitet. Dieser reicht der Briefträgerin bis zur Schulter und hat zwei Hasenzähne, die keck unter seiner Oberlippe hervorschauen. Am Gürtel trägt er eine Pistolentasche, und das ist auch das Einzige, was an ihm Furcht einflößend erscheint.
    Olga, die Briefträgerin, ist ein Bild von einem »russischen Weib«, wie man es sich auf dem Land vorstellt. Sie hat ein breites, rotbackiges Gesicht, breite Hüften und einen großen, mütterlich wirkenden Busen. Sie ist sehr temperamentvoll, und wenn sie ihre Worte mit wilden Gesten begleitet, habe ich immer ein wenig Angst um das Polizisten-Männchen, an dem der eine oder andere Schwenk ihres Arms nur knapp vorbeisaust.
    Neben der Post und der Rente sind die Neuigkeiten das Wichtigste, was die beiden den Bewohnern von Lipowka mitbringen. Olga berichtet Aktuelles aus der Frauenwelt, das Männchen hat Stoff für die Großväter. Dazu werden beide bewirtet. So endet der Besuch der Postzusteller immer erst nach ungefähr sechs Stunden gegen 18 Uhr. Dann wird das Polizisten-Männchen von der ebenfalls nicht mehr ganz nüchternen Olga »unter den Arm geklemmt« und der lange Heimweg angetreten.

Herbst
    Die Blätter fallen
    Die Jahre sind vergangen. Die Neubeginne des Frühlings veränderten mich. Die Wärme der Sommer füllten mich mit neuem Leben.
    Es ist der Herbst, der mich in eine melancholische Stimmung bringt. Diese malerische Ankündigung der Vergänglichkeit löst Ängste in mir aus, die ihre Ursache in meiner Kindheit haben, in der mich verließ, was ich liebte.
    Als sich Laska im Garten in ein Gebüsch zurückzieht, spüre ich, dass ich auch von ihr bald Abschied nehmen muss. Niemand weiß, wie alt Laska ist. Sie kann acht Jahre alt sein, aber auch zehn. Ich wage es nicht, die letzte Ruhe der Hündin zu stören, obwohl ich sehr gern zu ihr gehen würde, um sie zu berühren, um bei ihr zu sein. Ich sehe jedoch an Wanja, dass Abstand nötig ist – er wacht in respektvoller Distanz neben dem Busch.
    Ich gehe nach Demuschkina und frage Jura, den Arzt, ob ich noch etwas für Laska tun kann. Er sieht mich erstaunt an und fragt: »Was soll man tun, wenn jemand gerade stirbt?« Ich spüre, wie recht er damit hat. Dennoch ist mir übel vor Traurigkeit.
    Bambino und Felix dagegen toben herum wie immer. Wanja, Anton und Husar liegen häufig in der Nähe des Busches und heben ruhig schnüffelnd die Nasen.
    Nach drei Tagen verschwindet Wanja im Busch. Als er wieder hervorkommt, schüttelt er sich und geht weg. Die anderen Hunde schauen nun ebenfalls nach. Laska hat sich zusammengerollt, und ein paar kleine gelbe Blätter liegen auf ihr wie Blumen. Sie ist offenbar ganz friedlich eingeschlafen. Sanft und ruhig, so wie sie lebte.
    Nur ich finde keinen Frieden.
    Erst jetzt begreife ich, dass mein Leben mit den Hunden, das mir so viele Neubeginne schenkte, auch genauso viele Abschiede bringen wird. Diese Gewissheit, auf den Tod eines geliebten Wesens warten zu müssen, setzt in mir alte Ängste frei.
    Ich werde krank. Ich esse nicht mehr und schlafe viel.
    Wanja liegt wie angewachsen neben mir. Die anderen Hunde werden von Vera betreut. Sie erzählt im Dorf, dass ich eine Magenverstimmung habe, um mein Wegbleiben zu erklären.

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