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Wanja und die wilden Hunde

Wanja und die wilden Hunde

Titel: Wanja und die wilden Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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versorgen soll, da sie die deutschen Beipackzettel nicht lesen kann. Allein Schmerztabletten lege ich bereit.
    Als ich zurückkehre, sind alle wohlauf – dank der deutschen Medizin, wie ich höre.
    »Schimpf nicht«, sagt Vera betreten, »ganz viele Babuschkas hatten eine böse Erkältung, aber ich habe die richtigen Medikamente dafür gefunden.« Sie blickt mich bedeutungsvoll an, bevor sie stolz hinzufügt: »Alle sind ganz schnell gesund geworden! Man spricht von einem Wunder!«
    Ich hebe ergeben die Hände. Wer heilt, hat recht, denke ich, und lasse mir nur pro forma die besagten Mittel zeigen. Vera präsentiert mir eine Verpackung. Ich kenne den Namen des Medikaments nicht und lese den Beipackzettel. Diesem entnehme ich, dass dieses Mittel tatsächlich eine Wundermedizin ist.
    Es handelt sich um die Antibabypille.

Bambinos Reise
    Mein Leben im Winter mit den Hunden verläuft ähnlich wie das der Bauern. Es wird mächtig gefaulenzt. Der Winter ist die Zeit des Ausruhens.
    Die Hunde gähnen im warmen Zimmer um die Wette, rappeln sich zwischendurch mit viel Getöse hoch, drehen sich etliche Male um die eigene Achse und lassen sich dann wieder fallen, um weiterzuschlafen. Ich schreibe neue Lieder, male und fresse Bücher in mich hinein. Vera und ich spielen Schach, obwohl wir beide nicht mehrmals hintereinander verlieren können, ohne uns ernsthaft zu streiten. Dennoch beginnen wir immer wieder mit neuer Begeisterung zu spielen.
    Die Bauern tun, was im Warmen getan werden kann: Die Babuschkas spinnen Wolle, stricken Schafwollsocken, fertigen Flickenteppiche und nähen. Die Djeduschkas flicken ihre Fischernetze, die wie riesige Spinnennetze über alle Möbelstücke des Zimmers gespannt sind.
    Ansonsten legt man sich – neben den alltäglichen Verrichtungen wie Wasser holen, kochen, heizen und Tiere versorgen – vor allem mit Vorliebe auf den warmen Küchenofen.
    Der Winter hat eine andere Zeitrechnung als der Rest des Jahres. Nachbarn sehen sich tagelang nicht, gespenstische Leere herrscht auf den zugeschneiten Dorfwegen. Das Einzige, was sich bewegt, ist der Rauch, der aus den Schornsteinen kommt. Der Weg zum Wasser ist notdürftig niedergetrampelt. Die Wasserpumpen tragen dicke Wattejacken, deren Ärmel funktionslos abstehen.

    Brunnen im Winter
    Über den Jahreswechsel kommen immer ein paar Städter zum Feiern. Sie kaufen zu diesem Zweck eines der leer stehenden, fast verfallenen Häuser. Sobald es völlig heruntergekommen ist, wird ein neues Haus erworben. Beliebt sind sie bei den Bauern deshalb nicht. Geachtet wird hier nur jemand, der für sein Haus sorgt und es erhält. Viele intakte Häuser ergeben ein gutes Dorf.
    Die Städter kaufen bei den Bauern Lebensmittel. Immer wieder versuchen sie vergeblich, auch Eier zu erwerben. Es scheint eine unausgesprochene Regel unter den Bauern zu sein, dass sie diese Rarität nicht verkaufen. Eier bekommt man nur aus Zuneigung geschenkt.
    Vor einem dieser Städter-Häuser steht gerade ein Auto, ähnlich einem Pick-up – in russischer Ausführung. Vera und ich unterhalten uns mit Baba Luba, die in der Nachbarschaft wohnt.
    »Die haben sich nicht einmal vorgestellt. Man weiß gar nicht, wo sie herkommen und was sie hier wollen«, sagt Baba Luba verärgert über die Respektlosigkeit.
    Bambino läuft schnüffelnd um den Pick-up herum. Die Truppe Städter kommt aus dem Haus und steigt in den Wagen. Bambino hat die Nase Richtung Ladefläche erhoben. Im selben Moment springt er hinten auf.
    »Bambiiino! Bambiiino!«, schreie ich.
    Das Auto fährt los.
    »Stooopp!!!«, rufen Vera und ich, laufen hinterher und fuchteln dabei wild mit den Armen.
    Bambino blickt interessiert in die Fahrtrichtung und dreht sich nicht einmal um.
    Völlig außer Puste geben wir die Verfolgung nach ein paar hundert Metern auf. Das Auto ist außer Sichtweite. Bambino auch. Wir sind fassungslos und können uns nicht erklären, warum er nicht in Panik geriet, als das Auto angelassen wurde, und sich nicht umblickte, als wir ihn riefen.
    Niemand kann sagen, woher die Städter kamen im Winter 1996, meinem letzten Winter in Lipowka. Ich weiß weder, ob Bambino »aus Versehen« auf das Auto sprang, weil er nicht wusste, dass es gleich losfährt, oder ob er hinaufsprang, weil er Lust auf ein neues Abenteuer hatte. Auch wenn Letzteres eine sehr menschliche Interpretation seines Verhaltens sein mag – zuzutrauen wäre es ihm. Obwohl ich mir sicher bin, dass Bambino überall ein Zuhause finden kann, weil man

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