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Wanja und die wilden Hunde

Wanja und die wilden Hunde

Titel: Wanja und die wilden Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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Beute wegzunehmen, hätte als Unsitte gegolten. Wer etwas findet, dem gehört es. Zumindest in der Hundewelt. Da es keinen Hund gab, der Wanja die ganze Zeit hinterhergelaufen wäre, musste auch keiner der Hunde an einer bestimmten Stelle bleiben.
    Und was das Klingeln an der Haustür angeht: Sein Rudel nicht zu informieren, wenn sich jemand dem eigenen Territorium nähert (Hund oder Mensch), hätte ernsthafte Gefahr bedeuten können.
    Mir wird klar, dass ich mit einer menschlichen Borniertheit von Viktor im Kommandoton Dinge verlange, die nur für mich und meine »Natur« nützlich sind. Seiner Natur entsprechen sie nicht. Als ich das begreife, macht es mich sprachlos, wie ergeben Viktor das meiste davon dennoch befolgt.
    Weil wir kein Leben auf dem sicheren Land führen, sondern uns mitten in Berlin befinden, wo Giftköder ausliegen, Autos die Straße entlangdonnern, uns fünfzig fremde Hunde am Tag begegnen und nicht gejagt werden darf, muss Viktor schon mehr als genug gegen seine Natur ankämpfen. Für mich ist jetzt völlig klar, dass ich aus Respekt vor meinem Hund nun nicht auch noch in MEINER Sprache Dinge von ihm verlangen werde, die sich gegen seine Bedürfnisse richten.
    In meinem Kurs in der Hundeschule verkünde ich, dass wir fortan dem Hund nicht mehr erklären, was er zu tun hat, sondern lediglich mitteilen, was er nicht tun soll. Ich füge hinzu, dass die Natur den Hunden sicher Vokabeln geschenkt hätte, wenn es in ihrem Sinn gewesen wäre, dass diese sich untereinander etwas erklären. Daraufhin schauen mich einige Teilnehmer an, als wäre es an der Zeit, ihr Geld zurückzuverlangen.
    »Selbstverständlich muss ich meinem Hund Sachen erklären«, empört sich eine Frau. »Ich sage ›Mach mal Sitz‹, und der Hund versteht es auch, denn er setzt sich doch!«
    »Auch wenn ein Hase kommt?«, frage ich.
    Die Frau ist zwar verwirrt, aber nicht überzeugt.
    In meinem Kopf rotiert es. Es ist eine Sache, gerade eine Erkenntnis gewonnen zu haben, und eine andere, sie zu vermitteln. In meiner Verlegenheit nehme ich der Frau ihren einjährigen Labrador ab. Er springt wie fast alle Vertreter dieser Rasse mit ungebremster Lebensfreude in die Leine, was die Frau zur Verzweiflung treibt. Zum ersten Mal will ich bei einem deutschen Hund umsetzen, was ich bei meinen Hunden in Lipowka beobachtet habe. Ich will dem Hund nicht sagen, wo er sich aufhalten soll, sondern wo NICHT . Ich will das »Stopp« nutzen, das offenbar alle Hunde verstehen.
    Gedanklich ziehe ich eine rote Linie vor meinem Knie. Als der Labrador nach vorn schießt, rufe ich »Hej« und halte die Leine fest (ohne an ihr zu reißen), springe vor den Hund und schiebe ihn mit meinen Oberschenkeln und einem ganz kurzen Schubser zurück. Nach dem dritten Mal hört der Hund auf, die Reize um sich herum anzuvisieren, und schaut mich an.
    Bei dem Gedanken an diesen Moment bekomme ich bis heute zuverlässig Gänsehaut.
    Es ist deutlich zu erkennen, wie der Hund plötzlich wahrnimmt, dass man keine Spaßbremse ist, die ihn in seiner Bewegungsfreiheit einschränkt, sondern dass man gerade eine Regel aufgestellt hat und den Raum vor ihm beansprucht.
    Der Labrador stellt sich nun zwei Fragen. Erstens: Wo beginnt die Tabuzone? Zweitens: Was machst du, wenn ich trotzdem über sie hinweggehe? Mit gespitzten Ohren schiebt er sich vorsichtig über die gedachte rote Linie vor meinem Knie.
    Ein lautes »Hej« scheint mir für die ruhige Vorgehensweise des Hundes nicht mehr angebracht, und so verwende ich ein »Scht«, ähnlich einem leisen warnenden Knurren, das wie ein langgezogenes Grollen klingt.
    Der Labrador bewegt sofort die Ohren, probiert aber noch einmal, was geschieht, wenn er nicht stoppt und nach vorne geht. Als Konsequenz setze ich mit zwei Fingern einen Stüber in seine Seite, ähnlich dem kurzen Schnappen eines Hundes. Der Labrador geht sofort zurück und bleibt dort.
    »Fein«, rufe ich in hohem Ton, um ihn zu loben – so, wie ich es in allen Fachbüchern zum Thema gelesen habe.
    Der Labrador schießt nach vorn, als hätte ich ihm eine Rakete in den Hintern geschoben.
    »Scht.« Der Hund geht nach hinten, blickt mich dabei jedoch verunsichert an.
    Ich spüre, dass ein übertrieben geäußertes Lob ein Fehler ist, wenn ich will, dass der Hund ruhig bleibt.
    Nach kurzer Zeit läuft der Labrador entspannt hinter mir und beginnt im Laufen zu schnüffeln. Ich hindere ihn nicht daran. Das Einzige, was ich wollte, war ja, dass er nicht mehr zieht. Es ist ein

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