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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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nichts, weinte einen tief sitzenden Schmerz heraus. Meine Eltern waren ganz betreten, kompensierten ihr Unverständnis über diesen Schleusenbruch mit zärtlicher Geduld und trösteten mich abwechselnd. Nach diesem Zusammenbruch wurde ich zur Rekonvaleszenz in einen mit Schwalbenkacke besprenkelten Liegestuhl direkt neben dem Meiler verfrachtet, da ich mich geweigert hatte, im versifften Haus auf dem durch braune Cordwülste in drei durchgesessene Segmente unterteilten Sofa zu liegen. Mühsam verkniff ich mir meine Tränen, denn es wäre ein Leichtes gewesen, den gut geölten Wein- und Schluchzmotor jederzeit wieder anzuwerfen.
    Meine Mutter brachte mir ein Kissen, das nach Stall roch, und legte mir ihren Mantel über, der nach Shalimar, ihrem Parfum, duftete. So lag ich da, aufgebahrt unter freiem Himmel, von zwei höchst verschiedenen Gerüchen umweht, und ließ den Blick nicht von meinem rauchenden Wunderwerk.
    Die Arbeitsteilung meiner Eltern war stets dieselbe. Mein Vater schmiedete Pläne und meine Mutter schuftete. Während er mit imperialem Eroberer-Blick die Ausmaße seines Hühneraußengeheges abschritt oder mit über das Land hinwegweisenden Gesten die Wiesen für die Schafe einzäunte, fuhr hinter ihm meine Mutter Schubkarre für Schubkarre Unrat zur Hausmülldeponie.
    Am Abend wurde ich vom Gartenplatz ins Auto verlegt. Mein Vater stützte mich, und ich musste lachen, riss mich los und raste wie ein durchgedrehtes Stück Jungvieh, Luftsprünge vollführend, über die Koppel. Immer wenn ich lange still gesessen oder gelegen hatte, überwältigte mich plötzlich ein solcher Bewegungsdrang, dass ich loszappeln musste. Zu gerne hätte ich den Meiler geöffnet. Meine Neugierde war enorm, aber wenn ich eines aus der Kindersendung nie wieder vergessen würde, dann war es der todernste Köhler, der mit rußgeschwärztem Gesicht in die Kamera mahnte: »Das Schlimmste ist, wenn man nicht genug Geduld hat und den Meiler zu früh aufbricht. Nicht nur, dass es passieren kann, dass die Kohle Feuer fängt und dadurch die ganze Ladung vernichtet wird – nein, es kann sogar zu Explosionen und Verpuffungen kommen. Der Meiler darf erst aufgebrochen werden, wenn er vollkommen erkaltet ist.«
    Von der ganzen Aufregung erschöpft stieg ich ins Auto und legte mich auf die Rückbank. Wie ich es durchhalten sollte, erst am nächsten Wochenende wieder aufs Land hinauszufahren, war mir schleierhaft. Ich schlief während der ganzen Heimfahrt und ging von der Rückbank direkt ins Bett. Ich war todmüde, hörte keinen einzigen Schrei und erwachte, leicht irritiert, erst am nächsten Morgen wieder, als mein Vater mich für die Schule weckte.
    Als wir eine Woche später über den Hügel kamen, war kein Rauch mehr zu sehen, aber warm war der Meiler noch immer. Es regnete leicht und trotzdem war die Hülle hell, hart und trocken. Ihn immer noch nicht zu öffnen, wurde eine echte Herausforderung. Meine beiden Brüder waren diesmal mitgekommen, da sie unbedingt meinen rauchenden Freund kennenlernen wollten. »Wir könnten«, schlug mein mittlerer Bruder vor, »Wasser in die Löcher gießen oder alle Öffnungen verschließen, dann erstickt er.« Aber ich wiedersetzte mich erfolgreich. Niemand außer mir durfte ihn auch nur berühren. Mein Vater war nicht mitgefahren, da es in der Klinik zu einem Zwischenfall gekommen war. Im nagelneuen Patienten-Schwimmbecken hatte eine viel zu hohe Chlorkonzentration mehrere Spastiker beim therapeutischen Baden verätzt.
    Hinterm Stall stand inzwischen ein riesiger Container. Wir schlugen mit Ästen dagegen und es dröhnte wie in einem Schiffsbauch. Der Hund war auch mitgekommen und steckte seine städtische Nase aufgeregt in jeden Maulwurfshaufen. Mein älterer Bruder fand im Müllberg einen skelettierten Schädel, spießte ihn auf einen Stock und fuchtelte mir damit vorm Gesicht herum. Wir rätselten, was für ein Tier es gewesen sein könnte. Schwein, Schaf, vielleicht sogar Hund. Mein älterer Bruder strich sich seine viel zu langen Haare aus dem Gesicht: »Hier auf dem Land passieren die seltsamsten Sachen, es könnte sich auch um den Kopf eines deformierten Kindes handeln, eine geheim gehaltene Missgeburt, die in unserem Stall in einer Kiste gefangen gehalten worden ist.« Ich rannte zu meinem Meiler. Um die Lüftungslöcher herum hatten sich dicke Rußkrusten gebildet, die wie tief verschattete Augen aus der hellen Erde des Meilers herausgafften. Er roch so gut, nach Kirche und Kamin.
    Am Mittwoch

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