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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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hat sich die einzige, kümmerliche Abfahrt der Umgebung – keine zehn Meter ist sie lang – in Matsch verwandelt. Doch die besudelten Kinder nehmen immer wieder Anlauf, werfen sich auf ihre Schlitten – so groß ist ihre Sehnsucht nach Winter – und quälen sich Meter für Meter den Erdhügel hinunter.
    Doch dieses Mal war alles anders. Die Schneeflocken waren klein, leicht, behände und hart. Vermehrten sich rasant, bildeten Wolken und stoben übermütig um die Häuser. Eigentlich schneite es auch diesmal nicht so, wie alle sich das immer gewünscht hatten, auch diesmal kein »Leise rieselt der Schnee«, nein, es staubte. Bei eisigem Wind war die Luft erfüllt von Schneestaub. Der wehte umher, blieb mal dort liegen und mal da, bildete innerhalb einer einzigen Stunde an der Garage eine ein Meter hohe Schneeverwehung, während die Beete noch unbedeckt blieben. Drehte sich der Wind, sah man die Schneeverwehung eine halbe Stunde später an der Mauer gegenüber.
    Das Wort Schneewehe hatte ich vorher noch nie gehört, jetzt fiel es im Minutentakt. Schneewehen waren unberechenbar, lauerten den Autofahrern auf und warfen sich ihnen in den Weg, blockierten die Schienen und sperrten alte Menschen in ihre Häuser ein. Auf dem Psychiatriegelände blockierten sie die Zufahrten zu den Stationen. Dieser Staubschnee war einfach nicht zu bändigen, undressierbar, und wurde immer übermütiger, aufmüpfig geradezu. Die Temperaturen blieben über zwei Wochen weit unter null. Im Radio und im Fernsehen wurden lauter Rekorde verkündet: Minusrekorde, Hochwasserrekorde, Windgeschwindigkeitsrekorde, Schneefallrekorde.
    Es gab kaum Räumfahrzeuge. Wurde eine Einfahrt, eine Treppe oder eine Straße freigeschippt, war sie am nächsten Morgen wieder verschwunden. Schneestaub überall. Der Schiffsverkehr wurde eingestellt, die Halligen evakuiert. In den Häfen schob der Wind Eisschollen übereinander und drückte sie so lange gegen die Boote, bis sie zerbarsten. Ein allgemeines Fahrverbot wurde erlassen. Die Bundeswehr fuhr mit Panzern durch die Stadt und walzte den Schnee und leider auch mehrere Autos platt. Ein Mann erfror in seinem Wohnwagen, ein Stalldach brach unter den Schneemassen ein, zweihundert Schweine erstickten, konnten nur noch gefroren geborgen werden, und in den Nachrichten wurde gezeigt, wie die steinharten Tiere mit einem mir unvergesslichen Geräusch auf die Ladefläche eines Lastwagens geknallt wurden. Es klang so, als würden Steine verladen – Steine in Schweineform. Im ganzen Land waren die Straßen gesäumt von liegen gebliebenen Fahrzeugen.
    Und dann bekam das Ganze einen würdigen Namen: Schneekatastrophe! In der Tagesschau wurde es verkündet: Schleswig-Holstein versinkt im Chaos. Es wird zum Katastrophengebiet erklärt. Ein Ende der Schneekatastrophe ist nicht in Sicht.
    Ich war begeistert! Direkt vor meinem Fenster fand eine echte Katastrophe statt und hatte meine Scheibe schon zur Hälfte mit ihrem katastrophalen Pulverschnee verdunkelt. Jeden Morgen eilte ich zum Fenster und sah mir die über Nacht umgeschichteten, weiter wachsenden Schneeberge in unserem Garten an. Sie waren mittlerweile so hoch, dass alle Zäune verschwunden waren und ein Trampelpfad auf unser Hausdach führte. Schwanzwedelnd erklomm unser Hund den First und kläffte die ungewohnte Aussicht an, lief den Giebel entlang und stupste mit seiner Schnauze Schnee in die Luft.
    Mein Vater war in heller Aufregung, stapfte von einer Station zur nächsten. In der Großküche war der Strom ausgefallen, Medikamente fehlten, und den meisten Ärzten, Schwestern und Pflegern war es unmöglich, die Anstalt zu erreichen. Überall wurde Schnee geschippt. Sogar Patienten wurden eingeteilt, mitzuhelfen, die Katastrophe in den Griff zu bekommen. Auch zu uns kam so ein Trupp, und meine Brüder und ich sahen ihnen zu, wie sie versuchten, die Einfahrt freizuschaufeln. Das war grotesk. Eine Gruppe von Vermummten, die sich vollkommen planlos gegenseitig anschippten. Aus Bayern wurden Schneepflüge angefordert, und im Fernsehen hielt Dr. Gerhard Stoltenberg eine Ansprache. Wieder sah er mich an, nur mich. Dieser Mann war mein Verbündeter. Er verkündete, dass die Weihnachtsferien um zwei Wochen verlängert werden müssten. Meine Brüder und ich jubelten vor dem Fernseher.
    Eines Morgens klingelte das Telefon. Ich war als Erster da und nahm den Hörer ab. Es war Sohn Meisner: »Kann ich mal deinen Vater sprechen?« Sie telefonierten, und der Gesichtsausdruck meines

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