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Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)

Titel: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Vaters wurde ernster und ernster. Er beendete das Gespräch mit: »Mach dir keine Sorgen, es wird bald jemand kommen!« »Was ist denn los?«, fragte ich. Doch mein Vater hatte keine Zeit für Erklärungen. Er versuchte, das Krankenhaus zu erreichen, dann die Polizei. Überall besetzt oder Warteschleifen. Mein Bruder hakte nach: »Gibt’s draußen Probleme?« »Die sind völlig abgeschnitten von der Außenwelt. Michaela hat kein Insulin mehr. Sie scheint verwirrt zu sein und kann nicht mehr aufstehen. Ich glaube, die schwebt in Lebensgefahr.« Er ging im Zimmer auf und ab und sprach laut mit sich, mit uns, vor sich hin: »Was kann ich machen? Was kann ich machen? Was kann man da machen?« Meine Mutter überlegte: »Mit dem Auto kommt man da unmöglich hin. Habt ihr Insulin oben?« »Ja sicher haben wir Insulin. Jede Menge. Aber wie kriegen wir das zu ihr?« »Das Einzige, was mir einfällt«, meine Mutter ahnte, dass ihr Vorschlag unrealistisch klingen würde, »ist mit dem Flugzeug!« Mein mittlerer Bruder lachte los: »Klar Mama, super Idee! Los Papa, hol das Flugzeug aus der Garage! Wirf das Insulin aus der Luft ab!«
    »Warte mal, warte mal!« Mein Vater dachte angespannt über etwas nach. Noch war es nur ein flüchtiger Gedanke. Aber es arbeitete in ihm und, das sah ich ihm an, es wurde allmählich ein echter Plan. Er sah auf seine Armbanduhr. »In zwanzig Minuten landet ein Hubschrauber der Bundeswehr vor Haus G. Der bringt Decken und fliegt einen Patienten von D-Oben nach Kiel auf die Intensivstation. Ich könnte versuchen, dass wir auf dem Rückweg bei den beiden vorbeifliegen.« In der nächsten halben Stunde organisierte mein Vater ein perfektes Hilfsprogramm. Wir alle saßen schwer beeindruckt im Wohnzimmer und sahen ihm beim Telefonieren zu. Er war präzise und freundlich, zu keinem Zeitpunkt erweckte er den Eindruck, etwas nicht im Griff zu haben. Nach ein paar Minuten hatte er den verantwortlichen Oberst am Telefon, orderte in der Psychiatrie das Insulin, gab dem Piloten erste Informationen – »Wir werden auf einer großen Koppel landen müssen, wie die Schneeverhältnisse dort sind, versuche ich noch herauszubekommen« –, sprach mit Sohn Meisner, beruhigte ihn, gab ihm Anweisungen für seine Schwester und bat ihn, sich zur großen Wiese durchzukämpfen und die am wenigsten verschneite Stelle zu markieren. Während er telefonierte, fuhr er sich ständig durch seinen schütteren Haarkranz, strich sich über die Glatze und stand keinen Moment still. Mal streckte sich das gedrehte Telefonkabel zwischen Hörer und Apparat und machte sich ganz lang, dann schnurrte es wieder zu einem Knäuel zusammen. Diese Bewegung war wie ein Abbild der Unruhe, der Geschäftigkeit meines Vaters. Er zog sich dicke Socken und seinen Anorak an, band sich den Runden-Geburtstags-Kaschmirschal um den Hals und setzte sich seine Mütze auf.
    Mein mittlerer Bruder fragte ihn, ob er mitfliegen werde. »Das weiß ich nicht. Das wird sich zeigen!« Wir alle umarmten ihn. »Sei bitte vorsichtig«, bat ihn meine Mutter. Es lag etwas erregend Dramatisches über diesem Abschied, so als würde ein Krisenteam seinen besten Mann hinaus ins Inferno entsenden, zu einem Einsatz auf Leben und Tod. Er öffnete die Haustür. Kaum hatte er die Klinke gedrückt, da schob sie der Sturm auch schon auf und wirbelte Schneeflocken in den Vorraum. Mein Vater trat leicht vorgebeugt, dem Wind trotzend, ins Freie, stülpte sich den Schal über Mund und Nase und stapfte davon. Er kam nur mühsam voran, da er jeden Fuß einzeln wieder aus dem tiefen Schnee herausziehen musste, und schon nach wenigen Metern blieb er erschöpft stehen. Er winkte uns. Es war auch eine Aufforderung, die Tür zu schließen, ihm nicht länger hinterherzuschauen, ihn mit der vor ihm liegenden Aufgabe allein zu lassen. Meine Mutter und mein älterer Bruder pressten die Tür zu. Uns allen war kalt, und der Hund leckte eine durchaus ansehnliche Miniaturschneewehe von der Flurwand, die sich binnen einer Minute in unserem Haus eingenistet hatte. Ich lief in mein Zimmer und kauerte mich auf meinen warmen Höhlenplatz hinter dem Vorhang. Im Flur hörte ich meine Brüder. Der eine sagte: »Scott hat das Basislager nie wieder erreicht. Als gebrochener Mann ist er im Schneesturm verreckt.« Der andere: »Die haben sogar ihre Ponys gefressen!«
    Ich blickte in die vom Schnee verwandelte Landschaft hinaus – keinerlei Ecken und Kanten mehr, keinerlei Farben –, und ein Gedanke, den ich

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