Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)
sterbensmüde in mein Bett, lauschte noch ein wenig dem Gebrüll der Patienten und schlief ein.
Bei einer meiner Medizinschrank-Inspektionen fand ich eine Durchblutungscreme. Nach genauem Studium des Beipackzettels wusste ich, dass sie ihre Wärme bis tief in die untersten Muskelregionen abgibt und dass es auf der Haut zu Rötungen kommen kann. Diese würden aber schnell wieder verschwinden und seien ungefährlich. Ich schraubte die Tube auf, drückte ein wenig hinaus und machte mir einen Salbentupfer auf den Handrücken. Die Stelle wurde angenehm warm, ja heiß, und dann tatsächlich knallrot.
Und ich machte eine andere sensationelle Entdeckung: Beim Blättern in der Fernsehzeitung konnte ich im ersten Moment kaum glauben, was ich da las: Ein Spielfilm, der am Abend zuvor gelaufen war, wurde am nächsten Morgen wiederholt. Zu einer eigenartigen Zeit: 10 Uhr 23. Ich blätterte die ganze Woche durch, und wirklich, auch noch zwei andere Filme wurden zu dieser kryptischen Morgenzeit erneut ausgestrahlt. Eine aus dem Zeitungshaufen herausgeklaubte Fernsehzeitschrift von vor über drei Wochen beseitigte meine letzten Zweifel. Es war eine Tatsache: Meine Lieblingsspielfilme mit meinen Lieblingsschauspielern, denen so oft um Punkt neun oder spätestens um halb zehn das Zubettgeh-Fallbeil mitten in die Handlung sauste, gaben mir nach nur einer Nacht eine zweite Chance.
Mehrere Tage existierten diese beiden Entdeckungen, die Durchblutungscreme und die Spielfilmwiederholungen, friedlich nebeneinanderher, ohne sich zu tangieren. Ich grübelte über einen Vorwand nach, um an einem Vormittag nicht in die Schule zu müssen. Irgendeine Krankheit oder ein Familienfest? Sollte ich eine Entschuldigung fälschen? Und unabhängig davon machte ich ausgiebige Versuche mit der Salbe, malte mir heiße Sterne auf die Beine oder wärmende Gesichter: Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht.
Und dann kam ein Film im Fernsehen, den ich unbedingt sehen wollte, sehen musste: »Der Seemann und die Nonne«. Laut dem kleinen Bild und der Beschreibung hatte dieser Film alles, was ihn zu einem potenziellen Lieblingsfilm erhob: ferne Insel, finstere Japaner, zarte Nonne, Fliegerangriffe und in der Rolle des Seemanns einer meiner Leinwandhelden: Ich verehrte Robert Mitchum. Diesmal würde ich mich nicht ins Bett schicken lassen! Und da fusionierten die Durchblutungscreme und die Wiederholungen zu einem herrlich waghalsigen Plan. Am besagten Abend versammelte sich die Familie vorm Fernseher. Nach dem Wetterbericht, wie immer Regen und Wind, sagte ich: »Ich fühl mich irgendwie nicht gut. Ich glaub, ich geh mal besser ins Bett.« »Wie bitte?«, mein mittlerer Bruder war sofort misstrauisch, »gleich fängt der Film an. Du weißt schon, wer da mitspielt?« »Ja klar, aber mir ist schon den ganzen Tag über so komisch im Bauch.« Wenn ich mich freiwillig bei so einem Spitzenfilm ins Bett verabschiedete, musste es richtig schlimm um mich stehen. Mein Vater legte mir die Hand auf die Stirn: »Du hast aber kein Fieber, Lieber.« Ich stand etwas gebückt, blieb aber in der Darstellung meiner Symptome eher vage. »Ich leg mich wirklich besser hin. Schlaft alle gut, gute Nacht!« Meine Brüder fixierten mich prüfend. Konnte das sein? Da musste es mir wirklich verdammt schlecht gehen, wenn ich Robert Mitchum sausen ließ. Und während ich in der Türe kränklich die Hand hob, um ein letztes Mal in die Runde zu winken, dröhnte aus dem Fernseher die fantastische, orchestral wuchtige Musik von Twentieth Century Fox.
Mein mich zu Bett bringender Vater umsorgte mich im Eiltempo, da auch er Robert Mitchum liebte. »Brauchst du noch was?« »Ich hab ein wenig Bauchweh. Vielleicht wäre eine Wärmflasche nicht schlecht.« »Ja, klar, mach ich dir!« So schlief ich an diesem Abend selig ein, mit wabbeliger Hitze am Bauch, den durch die geschlossene Tür des Fernsehzimmers dringenden Todesschreien der Japaner in den Ohren und einem geschliffenen Plan vor Augen.
Am nächsten Morgen beim Frühstück tat ich so, als hätte ich eine harte Nacht gehabt, aß wenig und blickte leidend auf meinen Teller. Auch auf die noch müden, aber schon stacheligen Kommentare meiner Brüder reagierte ich nicht und ließ sie an meiner Mattigkeit abtropfen. Mein mittlerer Bruder sagte: »Vielleicht war das der beste Robert-Mitchum-Film, den ich je gesehen habe.« Mein älterer Bruder gab ihm recht: »Ja, wenn ich den verpasst hätte, würde ich durchdrehen.« Ich
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