Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2 (German Edition)
bist du denn schon da, Mama, und er noch da draußen?«, wollte ich wissen. »Das fragst du ihn am besten selbst. Also, wie kriegen wir den Clown da ins Haus?«, gab mir meine Mutter als kryptische Antwort. Mein mittlerer Bruder klopfte gegen die Glastür und winkte meinem Vater zu. Der hatte sich zwischenzeitlich die Nase heruntergerissen und diese wutentbrannt in die Büsche gepfeffert, wo sie unbeeindruckt weiter vor sich hin blinkte. Der Hund bellte und knurrte, sabberte und lief wie ein durch viele Jahre Gefangenschaft durchgeknalltes Zootier an der großen Glasfront hin und her. »Ich lasse den Faschingssalat durch unser Schlafzimmerfenster rein«, schlug meine Mutter vor. Mein mittlerer Bruder machte einen, wie mir schien, plausiblen Gegenvorschlag: »Wir könnten doch versuchen, den Hund in den Keller zu sperren, und ihn dann einfach reinholen!« »Nein, nein, das mit dem Fenster scheint mir genau das Richtige für ihn zu sein«, lehnte meine Mutter ab und klatschte für uns alle überraschend plötzlich lachend ihre Hände zusammen. »Also los!«, rief sie.
Mein ältester Bruder nickte ihr wissend zu. Mit sechs Händen und all unserer zur Verfügung stehenden Kraft zerrten wir den Hund ein wenig von der Schiebetür weg. Meine Mutter winkte meinen Vater heran, und ängstlich kam er näher. Das Matrosenhemd war hochgerutscht, und sein Bauch hing ihm über die Pluderhose. Meine Mutter machte Zeichen und rief gegen das Glas: »Geh rüber zum Schlafzimmerfenster. Da kannst du reinklettern!« Erst verstand er nicht, und als er dann endlich verstand, reckte er fassungslos die Hände in den dunklen Nachthimmel und schlug sich dann verbittert auf die Oberschenkel. Obwohl wir unser Möglichstes taten, gelang es uns nicht, den Hund von der Schlafzimmertür abzuhalten. Er riss sich wieder los und sprang so geschickt an der Tür hoch, dass er mit der Pfote die Klinke drückte und ins Zimmer rannte. Für eine Sekunde stand er dabei aufrecht auf seinen Hinterpfoten im Türrahmen und sah aus wie ein Riese in einem schwarz-weißen Pelzmantel. Mein Vater hatte schon mühsam die Fensterbank erklommen, als sich der Hund auf ihn stürzte und er zurück in die unter seinem Gewicht splitternden Sträucher krachte. Stolz stand der Hund mit den Pfoten auf dem Fensterbrett und kläffte in die Nacht hinaus. Am liebsten wäre er hinausgesprungen. Immer wieder hüpfte er mit den Hinterläufen in die Höhe, kratzten seine Krallen über die Heizung – doch es war einfach zu hoch.
Mein Vater hatte nun sichtlich genug. Aus einem Sicherheitsabstand brüllte er: »Mensch, jetzt sperrt endlich den scheiß Hund ein!« Da er sehr selten laut wurde, ich es nur eine Handvoll Mal erlebt hatte, machte es auf meine Brüder und mich großen Eindruck. Aber meine Mutter war nach wie vor guter Dinge. Während sie meinem Vater »Wir schaffen das aber nicht!« zurief, klopfte sie dem Hund bestätigend auf den Schädel. »Ich schmeiß dir deine Sachen raus! Vielleicht geht’s dann!« Sie ging zum Schlafzimmerschrank, nahm ein Hemd und eine Hose meines Vaters – diese hingen fein säuberlich auf Bügeln – und schleuderte sie mit lustvollem Schwung durchs Fenster in die Nacht. Ich hörte meinen Vater fluchen und rannte mit meinen Brüdern zurück ins Wohnzimmer. Wir löschten das Licht und beobachteten ihn dabei, wie er sich bis auf die Unterhose auszog. Ich fragte mich, ob er vielleicht betrunken sei, so ungeschickt hob er immer wieder erst das eine, dann das andere Bein, um in seine Hose zu schlüpfen. Auch wenn ich ihn im Finsteren kaum erkennen konnte, waren mir seine Bewegungen wohlbekannt, sah ich Vertrautes als Schattenspiel. Wie er sich die Hose halb heraufzog, sich leicht breitbeinig hinstellte, damit sie auf halbmast hielt, sich dann sorgfältig das Hemd um die Unterhose herum faltete, wie er, um die Hose zuzuhaken, den Bauch einzog, sich streckte, um dann wieder in sich zusammenzusacken, die Wampe über den Hosenbund absenkte, all das hatte ich im Hellen Hunderte Male gesehen.
Als er angezogen war, sammelte er die verstreuten Kostümteile von der Wiese und warf sie, ohne seine drei Söhne zu sehen, direkt vor die Schiebetür auf die Terrasse. Er verschwand in der Dunkelheit, wir rannten zurück zum Eltern-Schlafzimmer und mein mittlerer Bruder rief meiner Mutter schon von Weitem, durch den Flur hindurch, zu: »Er kommt!« Mein Vater erschien am Ende des langen Flurs vor der gläsernen Eingangstür. Sein Schnauzer war noch schwarz, sein Haar
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