War da noch was - Roman
verspürte. Oder, wenn ich an ihn dachte, dann musste ich mich hinsetzen und mit dem innehalten, was ich gerade tat. Jahrelang hatte ich ein weißes Licht im Kopf gesehen, das mich blendete und durch das ich nichts anderes mehr sehen konnte. Ich vermutete, Laura hatte die letzten fünfzehn Jahre ihres Lebens immer nur dieses Haus vor Augen gehabt wie ein blendendes, weißes Licht. Dabei hatte sie die Komplikationen nicht gesehen, nur ihren Traum. Aber Träume können leicht zu Albträumen werden, wenn zu viele Jahre vergehen, bis sie sich erfüllen. Einst war Laura das Ex-Model mit drei kleinen Kindern, das darauf wartete, den Familienstammsitz zu übernehmen und sich auf den Seiten von Hello! die Ehre zu geben. Jetzt war sie nur noch eine Frau mittleren Alters mit Teenagern, die kurz davor waren, flügge zu werden, und die in einem Mausoleum lebte, das sich in eine tickende Zeitbombe verwandelt hatte, während ein böser Stiefsohn darüber nachdachte, wann er sie vor die Tür setzen konnte.
Böse? Nein, das war er nicht, aber schwierig. Und Laura hatte sich wirklich Mühe gegeben. Immer. Von Anfang an, als sie Luca »geerbt« hatte, einen verstörten Sechsjährigen, dem die Scheidung seiner Eltern schwer zugesetzt hatte, geboren mit einem verkümmerten Arm, aufgezogen von Kindermädchen, während Carla ihren eigenen Interessen nachging, ihrer Filmkarriere, ihrem Gesellschaftsleben. Und so wurde Luca in den Schulferien nach England verfrachtet zu seinem Vater. Laura und Hugh taten ihr Bestes. Gaben ihm viel Aufmerksamkeit und Zeit: Ferien in Cornwall, Krabbenfischen auf den Felsen bei Ebbe. Laura erst frisch verheiratet, dann hochschwanger, dann mit Kleinkindern, hatte am Ende jedes Sommers das Gefühl, wieder ein Stück darin weitergekommen zu sein, ein Verhältnis zu ihm aufzubauen. Dann rief sie mich frohen Mutes an: »Ich durfte ihn ins Bett bringen und ihm vorlesen. Wir haben lange geredet. Ich komme jetzt wirklich an ihn ran, Hatts.« Und wenn er dann das nächste Mal kam, rief sie mich entgeistert an: »Er ist so anders, so kalt, so distanziert! Was soll ich bloß tun?«
»Bleib dran«, war mein Rat gewesen und das hatte sie getan. Aber mit jedem Mal war er unhöflicher, widerspenstiger geworden, und mit Schrecken hatte ich seine Teenager-Zeit verfolgt: bekifft, besoffen, muffig, sprach er von Laura als »der Frau«. Gleichzeitig hatte er unzählige Operationen an seinem Arm über sich ergehen lassen müssen, der nie besser geworden war. Er hatte in ihrem Häuschen rumgegammelt und Biba und Daisy, Lauras Töchtern, Angst eingejagt, indem er einen Schwall italienischer Wörter auf sie losließ; er wurde eine düstere Gestalt, vor der selbst Laura inzwischen Angst hatte.
»Hat er sich gebessert? Luca?«, fragte ich vorsichtig. »Hugh sagt, er käme zur Jagd her. Ist er plötzlich auf
wundersame Weise vornehm geworden? Von Kopf bis Fuß in Tweed gekleidet?«
»Natürlich nicht. Er geht in einer alten Bomberjacke und zerrissenen Jeans zur Jagd, während Hugh nur schmerzlich und peinlich berührt das Gesicht verzieht, aber sich nicht traut, etwas zu sagen. In ein paar Wochen kommt er wieder, vielleicht hole ich dich dann zu Hilfe, um mir moralischen Rückhalt zu geben.«
Ich lächelte. »Danke.«
Sie saß noch immer da und hielt das Kissen umklammert. Legte das Gesicht seitlich darauf. Ein schönes, ebenmäßiges, sorgenvolles Gesicht. Wir schwiegen eine Weile.
Sie hob den Kopf und fuhr mit leiser Stimme fort: »Vielleicht wirst du es nicht glauben, Hatts, aber mir selbst macht das ehrlich gar nichts aus. Es geht mir um die Kinder. Dass wir hier einziehen und dann plötzlich wieder ausziehen, wenn Luca heiratet …«
»Soll das Haus dann den Besitzer wechseln?«
»Nicht unbedingt. Das liegt ganz bei Hugh. Aber so hat er es neulich gesagt, einfach so. ›Wenn Luca heiratet, übergebe ich ihm das Haus. Ich werde ihn nicht so lange warten lassen, wie ich es musste.‹ Nun ja, er ist zweiundzwanzig, Hattie. Es könnte also schon in ein paar Jahren passieren.«
»Unwahrscheinlich. Die meisten Leute heiraten heutzutage erst später«, murmelte ich. Luca war aber nicht wie die meisten Leute.
»Okay, aber angenommen, sagen wir mal in fünf Jahren. Für die Mädchen ist das nicht so schlimm. Die sind jetzt Teenies und bis dahin haben sie schon Wohnungen in London, nach dem Studium; da ist das Zuhause dann nicht mehr so wichtig. Aber für Charlie, der ist ja erst acht … hier wieder auszuziehen …«
»Aber
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