War da noch was - Roman
hielt den Blick starr auf das Hähnchen gesenkt, das sie nun auf einem Brett auf den Tisch stellte. Da wir nicht genug Männer in der Runde hatten, saß sie neben mir. »Red keinen Unsinn, das würden wir nie tun. Hughs Familie lebt schon seit weit über zweihundert Jahren hier.«
»Ja, aber vor zweihundert Jahren hatten die Leute Bedienstete, jede Menge sogar, das heißt in einem Haus wie diesem haben ungefähr zwanzig Menschen gelebt, was auch sinnvoll war. All diese Dachkammern waren voller Dienstmädchen, und jetzt stehen sie leer. Oben im Kutscherhaus haben die Pferdeburschen geschlafen, und auch wenn ihr eine große Familie seid, geht ihr hier drin doch verloren. Und das nur, um an einem patriarchalischen Lebensstil festzuhalten, der gar nicht mehr existiert?«
Maggie hatte in Newcastle Soziologie studiert. Außerdem hatte sie schon zwei große Gin Tonics getrunken.
»Willst du damit sagen, dass es ziemlich egoistisch wäre, so viel Raum leer stehen zu lassen, wenn so viele Menschen gar nicht wissen, wo sie schlafen sollen?«, fragte Kit langsam nach. Hinterlistig, so als wäre es ihm gerade erst in den Sinn gekommen.
Laura legte die Fleischgabel aus der Hand und verdrehte die Augen. »Ach ja, super Idee, Kit. Alle diese Menschen, die in London in ihren Schlafsäcken schlafen
– die könnten alle hierherkommen und ein Bett kriegen, ja? Klar, warum nicht?«
»Nun ja, warum nicht?«, fragte Kit sanft.
Maggie wurde blass, sie hatte die allzu vereinfachenden Methoden meines Bruders noch nicht kennengelernt, mit denen er die Probleme der Welt beseitigen wollte.
»Aber wo würdest du dann wohnen, Kit?«, fragte Laura. »Wenn du mal wieder en passant von Oxford vorbeikommst und alle Zimmer mit den armen obdachlosen Seelen belegt sind, die hier auftauchen. Vielleicht unter dem Billardtisch? Wäre doch besser als gar nichts, was? Möchte jemand Soße?«
»Also, so habe ich das ja gar nicht gemeint«, sagte Maggie nervös. Sie war es eher gewohnt, ihre argumentativen Kräfte freitagabends in Notting Hill spielen zu lassen, wo Diskussionen nicht so plötzlich aus dem Ruder liefen. »Ich dachte eher aus der Sicht von Hugh und Laura. Es ist eine ganz schöne Belastung. Eine Verantwortung.«
»Ja, aber es ist mir ja nur für eine gewisse Zeitspanne anvertraut, das ist der entscheidende Punkt«, sagte Hugh. »Es gehört nicht mir, damit ich damit tun und lassen kann, was ich will, sondern ich muss es nur für die nächste Generation bewahren. Eigentlich gehört es Luca.«
»Luca«, murmelte Laura und rammte das Bratenmesser heftig in die Hühnerbrust. »Hughie, würdest du das hier bitte übernehmen? Bevor ich es massakriere.«
Hugh stand gehorsam auf und ging um den Tisch herum, um zu übernehmen. »Natürlich, mein Schatz. Du hättest mich nur zu fragen brauchen.«
»Luca?«, fragte Maggie stirnrunzelnd. »Ich dachte, euer Sohn heißt Charlie?«
»Luca ist Hughs Sohn aus erster Ehe«, erklärte meine
Mutter ruhig mit einem stoischen kleinen Lächeln. »Hier Maggie, darf ich Ihnen die Zuckererbsen reichen?«
»Und der wird das Haus wahrscheinlich sowieso verkaufen«, sagte Laura, »sobald es ihm gehört. Und das wird, wenn es nach Hugh geht, nicht erst sein, wenn wir unter der Erde sind, sondern wenn wir seiner Meinung nach unseren Spaß gehabt haben und es Zeit wird, dass die Jungen an die Reihe kommen, solange sie noch die Kraft dazu haben. Während ich verdammte fünfzehn Jahre warten musste und ganz klar keine Kraft mehr habe!«
Maggie fing an, die Feinheiten der Situation zu erkennen und klappte den Mund auf. Und schloss ihn wieder. »Oh. Und wie alt ist …«
»Zweiundzwanzig«, warf meine Mutter ein.
»Und wo …«
»In Florenz bei seiner Mutter.«
»Und wie oft ist er …«
»Nicht oft, nur ein, zwei Mal im Jahr, meistens wenn Jagdsaison ist. Noch Broccoli, Maggie?« Mum schnurrte vor sich hin wie ein alter Bentley und hatte ihr strahlendstes Lächeln aufgesetzt.
»Das wirst du doch, oder?«, wandte Laura sich unbeirrt an Hugh.
»Was werde ich?«
»Ihm das Haus überschreiben?«
»Nun, ich werde ganz sicher nicht so lange warten, bis er zu alt ist, um es genießen zu können.«
»So wie wir.«
»Und ich sehe nicht ein«, fuhr er ruhig und offensichtlich nicht zum ersten Mal fort, »warum wir es zu enormen Kosten von oben bis unten aufputzen sollen, wenn Luca in ein paar Jahren beschließt, dass er alles ganz anders haben will.«
»In ein paar Jahren! Ein paar Jahren! Willst du damit
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