War da noch was - Roman
ich fürchte, Sie werden nicht viel von ihm zu sehen bekommen. Er wirbt gerade um Unterstützung für einen Gesetzesentwurf zum Nahverkehr. Da gibt es ein paar Wackelkandidaten, und dann ist da ein wild gewordener Abgeordneter aus Wales, der damit droht zu den Liberal Democrats zu wechseln. Er steht wohl kurz davor, seinen Wahlkreis zu verlieren, und deswegen mischt er noch mal alles auf, das Übliche – und schon
ist überall die Hölle los. Am besten setzen Sie sich erst mal hin, schauen sich diese Gesetzesvorlagen und Reformen durch und machen sich mit Dominics Arbeit vertraut. « Sie ließ den Stapel auf meinen Tisch fallen. »Bildung ist sein großes Thema, und für die Grundschulen setzt er sich besonders ein. Schauen Sie sich seine letzten Eingaben an.«
Während Katya in der anderen Ecke des Zimmers ihren Computer bearbeitete, verbrachte ich eine äußerst zähe Stunde damit, durch unsäglich langweilige Berge von Unterlagen zu blättern. Dabei gab ich mir alle Mühe, nicht zu gähnen oder gar einzunicken. In meiner Tasche war eine Cosmopolitan , die ich verstohlen auf meinen Schoß schmuggelte.
Nach einer Weile ging ich, um mir eine Tasse Kaffee in der kleinen Küche zu machen. Katya war bereits drinnen, und bevor ich hineinging, hörte ich sie hinter der Tür mit einer anderen Sekretärin reden.
»Und natürlich muss Dominic all diese Studentinnen nehmen, und dann verschwindet er einfach. Was soll ich bloß mit ihr anfangen?«
Ich ließ die Hand von der Klinke sinken und trat einen Schritt zurück. Ich war also eine von vielen, eine Studentin, die das Parlament, die Besucherempore sehen, auf der Terrasse über dem Fluss einen Drink nehmen, MPs vorgestellt werden, vielleicht sogar einen Blick auf den Premierminister erhaschen wollte. Ich ging zurück ins Büro.
Wenige Augenblicke später kam Katya an ihren Tisch zurückgeflattert.
»Bitte sehr, meine Liebe.« Sie reichte mir einen Becher. »Und hier sind ein paar Kekse und Zucker. Tut mir leid, dass ich nicht besonders kommunikativ bin, aber wenn
ich mit diesen Briefen hier fertig bin und ein paar Anrufe erledigt habe, dann bringe ich Sie nach drüben.« Sie eilte zurück zu ihrem Stuhl.
»Ich kann tippen«, sagte ich. »Fehlerfrei. Mein Vater hat es mir beigebracht. Er ist Journalist. Ich habe früher manchmal Artikel für ihn abgetippt. Wie wär’s, wenn Sie Ihre Anrufe erledigen und ich erledige diesen Stapel hier für Sie?«
Überrascht blickte sie mich über den Rand ihrer Brille hinweg an.
»Ich bin schnell. Sechzig Wörter pro Minute.«
»Also …«
Ich sah, wie sie zögerte. »Bis wohin sind Sie gekommen? « Ich stand auf und ging zu ihrem Schreibtisch hinüber.
Sie erhob sich zögernd. »Also gut, Sie können sich ja mal diese Briefe hier vornehmen, wenn Sie wollen. Das sind alles Antworten an Leute aus seinem Wahlkreis, aber seine Handschrift ist entsetzlich. Ich weiß nicht, ob Sie …«
»Bestimmt.« Eifrig nahm ich Platz. »Mein Dad hat auch eine furchtbare Schrift. Wenn ich die lesen kann, dann kann ich alles lesen.«
Ich nahm ihr den Stapel mit Briefen ab, klickte den Bildschirm an und legte ein Blatt mit Portcullis-Briefkopf, dem Logo des Abgeordnetenhauses, in den Drucker ein. Sie blieb noch eine Weile unsicher neben mir stehen, während ich den ersten Brief herunterratterte. Dominics Handschrift war wirklich entsetzlich, aber nachdem ich mich erst einmal eingelesen hatte, merkte ich, dass seine As und Es die einzig verwirrenden Elemente waren, und den Rest konnte ich mir zusammenreimen. Ich reichte Katya den Brief zur Kontrolle.
»Sehr gut«, lobte sie. »Also, wenn Sie sich wirklich durch den Haufen da durchbeißen wollen, könnte ich mich so lange an den anderen Tisch setzen und den Parteivorsitzenden wegen einer ganzen Liste von Anliegen und Klagen anrufen. Und ein paar von Dominics E-Mails beantworten.«
»Absolut. Legen Sie nur los.«
Ich machte mich in halsbrecherischem Tempo an die Arbeit. Das war etwas, was wir Carrington-Kinder alle drei beherrschten, fast wie eine Art Partykunststück. Dad hatte uns das einmal während der Sommerferien beigebracht, als wir kein Geld für Urlaub hatten und gelangweilt im Garten herumgammelten. Er hatte drei alte Schreibmaschinen, die aus den Büros des New Statesman aussortiert worden waren, in Reih und Glied im Garten aufgestellt – damals wohnten wir gerade in Kilburn, was nicht unbedingt die Lieblingsadresse unserer Mutter war. Dann legte er uns Pappen auf die Hände, damit
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