War da noch was - Roman
übrig, als alle Kräfte zu mobilisieren, die sie hatte: ihre verblassende Schönheit, ihr Geld, ihr hartnäckiges Festhalten an den blonden Strähnchen, der Maniküre. Sollte man nicht Mitgefühl mit dem Schmerz und Anerkennung für den Mut dieser Frauen empfinden? Was sollte sie sonst tun, außer die Wände mit Fotos ihrer Kinder zu tapezieren – als ständige Erinnerung für ihren Ehemann – und unablässig ihr Zuhause und ihre Garderobe aufzuhübschen, ein tapferes Lächeln aufzusetzen und das Beste zu hoffen. Hoffen, dass sie auch in zehn Jahren noch da war, und wirklich, wenn sie die nächsten fünf überstand, hatte sie es vermutlich geschafft. Tapfer? Ich fand schon.
Genauso tapfer, wie mit vierzig allein dazustehen? Ich bog in die Sydney Street ab und spürte den kalten Wind im Gesicht, während ich auf St Lukes zuging. Das hing natürlich ganz von der Tagesform ab. Es hing davon ab, ob man voller Optimismus und Tatendrang erwachte, oder nur langsam aufwachte, schwerfällig die Augen öffnete und gleich der Einsamkeit ins Gesicht sah, all den Jahren, die vor einem lagen. Ich stellte den Mantelkragen hoch gegen den Wind, der in dieser besonders breiten und eleganten Straße schon immer äußerst scharf gepfiffen hatte. Dann senkte ich den Kopf auf die Brust und marschierte weiter.
16
D ie Wochen vergingen, und die Provence rief. Traditionellerweise verbrachten Maggie und ich die Zeit vor einer solchen Reise immer damit, Pläne zu schmieden. Die Köpfe über unseren Apothekertisch gebeugt, mit wachsender Vorfreude, stellten wir detaillierte Listen auf: In ein Spalte schrieben wir, was sich gut verkaufte und angesagt war, in die andere das, was passé war und was wir unter allen Umständen meiden sollten. Und das taten wir auch dieses Mal. Laternen, so beschlossen wir, waren dieses Jahr ganz groß, aufpoliert und mit neuer Elektroinstallation. Wir verkauften massenhaft davon. Auch Küchenschränke für frei stehende Küchen. Kommoden waren beliebt, um Fernseher daraufzustellen, und Kaminspiegel waren schon verkauft, bevor wir sie ausgeladen hatten. Aber die größeren Mahagonimöbel waren mittlerweile überholt. Keiner hatte mehr den Platz für ein riesiges, altes Sideboard oder einen vier Meter langen Esstisch, und große Kleiderschränke waren ebenfalls vollkommen out. Wir schoben Ideen von hier nach dort, gingen im Laden auf und ab, kauten an Bleistiften, blieben stehen, um etwas aufzuschreiben oder abzuwägen, redeten beide gleichzeitig, und ja, eine gewisse Vorfreude kehrte zurück. Christian hatte recht: Die Provence im Herbst war genau das, was wir brauchten, und obwohl wir nicht mehr so kribbelig waren wie früher einmal – jahrelange
Erfahrung sorgte dafür, dass wir eine entspanntere Haltung einnehmen und mehr dem Zufall überlassen konnten –, sorgte es doch für frischen Wind in der French Partnership und brachte uns zweifellos in Schwung.
Und deswegen war es auch ein ordentlicher Schlag, als Maggie am Abend vor unserer geplanten Abreise anrief und sich ganz furchtbar anhörte.
»Es tut mir echt leid, Hatts, aber ich habe mir eine furchtbar eklige Grippe eingefangen«, keuchte sie und hustete vom Telefon weg. »Ich komme nach Fréjus nach, aber Montauroux muss ich auslassen, fürchte ich. Ich fühle mich schrecklich.«
»Oh.« Ich merkte, dass ich bitter enttäuscht war.
»Aber wenn ich noch den Lieferwagen mitbringe, wenn ich nachkomme, können wir den auch noch vollladen. So können wir viel mehr einkaufen. Das wäre also total sinnvoll, mit zwei Autos da zu sein«, erklärte sie mir nasal. Das stimmte, rein wirtschaftlich betrachtet. Aber Maggie und ich hatten uns nie für das Vernünftige, wirtschaftlich Sinnvolle entschieden, sondern die Verbundenheit einer lustigen gemeinsamen Fahrt im Lastwagen vorgezogen. Das war eigentlich sogar die Hauptsache.
»Na dann«, sagte ich und überlegte, ob ihre Stimme plötzlich heller geworden war. Es schien fast so, als hätte sie sich von vollkommen verstopft zu ganz normal verändert. »Aber sehr schade.«
»Ich weiß.«
»Heute im Laden hast du noch ganz normal gewirkt. Das kam jetzt ziemlich plötzlich, oder?«
»Ja, total, aber so scheint das mit diesem Virus zu sein. Mein Cousin hatte das auch. Im einen Augenblick bist du noch topfit und im nächsten todkrank und elend.«
»Welcher Cousin?«, fragte ich misstrauisch.
»Äh, mein Cousin … Alfred.«
»Von dem hab ich ja noch nie gehört.«
»Nein, er ist auch sozusagen das schwarze
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