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Waren Sie auch bei der Krönung?

Waren Sie auch bei der Krönung?

Titel: Waren Sie auch bei der Krönung? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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kalte Wind schien sich verstärkt zu haben und auch der Regen. Die Außenseite seines Regenmantels war naß, und plötzlich fühlte Will Clagg die Feuchtigkeit auch innen, seine Achselhöhlen waren schweißnaß. Schnell zählte er nochmals, und dann rannte er, alarmiert und doch halb erleichtert bei dem Gedanken, was für ein Narr er gewesen war, zur anderen Straßenseite. Aber dort gab es überhaupt keine Häuser, sondern nur die lange, vom Fahrdamm etwas zurückgesetzte Gruppe von Spitalsgebäuden, die tief in den Crescent hineinreichten. Er ging wieder zurück und lief, von Panik erfaßt, beinahe blind an seiner Familie vorbei.
    Auf dem Gehsteig stand ein Polizist und sprach mit zwei kräftigen Männern in jener unauffälligen Kleidung, die sie unfehlbar als Detektive charakterisierte. Will trat an den Polizisten heran. «Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo Nummer 4 ist?»
    Der Polizist musterte ihn mit einem ernsten Blick; seine zwei Gefährten zuckten in ihren Regenmänteln zusammen und traten einen Zentimeter näher.
    Angst übermannte Clagg, so daß ihm fast übel wurde. Irgend etwas an der Haltung dieser Männer kam ihm vertraut vor. Er hatte in Little Pudney ähnliche Gruppen gesehen und an ihnen denselben Ausdruck ernster Gedankenkonzentration bemerkt, wenn ein zweifelhaft aussehendes Individuum vorbeiging.
    «Warum suchen Sie denn Nummer 4?» fragte der Konstabler.
    Clagg zog seine blauen, goldbedruckten Karten hervor. Als er sie in der Hand hielt, empfand er plötzlich nicht mehr das Gefühl tröstlicher Wärme, das ihr Besitz ihm früher eingeflößt hatte. Als er sie jetzt zwischen den Fingern hatte, war es ihm, als ob sie auf einmal all ihre Schönheit und Kraft verloren hätten.
    Einer der Männer in Zivil sagte: «Hier ist wieder einer.» Seine Blicke streiften die Gruppe, die Will umgab — die Frau, die Kinder und offensichtlich die Großmutter — , und er fügte kaum hörbar hinzu: «Und noch dazu die Familie, das ist Pech!» Die beiden Männer traten näher, um die Karten zu besehen.
    «Nun also», sagte er Polizist mit weicher Stimme, «wenn es eine Nummer 4 gäbe, müßte sie doch hier sein. Aber wie Sie sehen...»
    Gewiß, sie konnten es alle sehen. Sie wandten sich um, dem Blick des Polizisten folgend, und sahen, was er sah und was sie schon vorher gesehen hatten und was sie nicht ändern konnten, mochten sie noch so lange hinblicken und hinstarren und von Furcht, Wünschen und Hoffnungen erfüllt sein. Es stand kein Haus da, es gab nur eine Lücke, wo das allgegenwärtige Unkraut an der Stelle wuchs, wo einmal die von einer Bombe zerstörten und niedergebrannten Häuser Nummer 4 und 5 gewesen waren.
    Violet Clagg begriff noch immer nicht, und ihr Blick wanderte verständnislos von dem Polizisten zu der leeren Stelle, zu dem Gesicht ihres Mannes, dem ein nicht mehr unterdrückbares Entsetzen alle Farbe genommen hatte. Der Mund der Großmutter war grimmig verzerrt, und die Runzeln auf ihrer Stirn hatten sich verdoppelt. Ihr war völlig klar, was los war. Die Luft war von schlimmen Vorahnungen erfüllt, und die Kinder blickten angsterfüllt auf die Gesichter ihrer Eltern.
    Der zweite Detektiv fragte: «Können Sie uns sagen, wer Ihnen diese Karten verkauft hat?»
    In einem einzigen zermürbenden Moment, in dem ihm fast das Herz brach, stürzte für Clagg die bisher gute, saubere, redliche britische Welt zusammen. Als er so zwischen ihren Trümmern stand, wurde ihm klar daß sein Vetter Bert entweder selbst ein Betrüger war oder der größte Dummkopf auf Gottes Erden. Keine dieser beiden Möglichkeiten durf- ;l te einem Fremden gegenüber zugegeben werden. «Nein!» sagte er.
    Die Augen der Großmutter glühten hinter ihren Brillengläsern. Sie stemmte ihre Arme in die Hüften, und Clagg wußte nur allzu gut, was diese Geste zu bedeuten hatte: sie war im Begriff, eine Rede zu halten. «Wenn ich an deiner Stelle wäre», sagte sie bissig, «würde ich es ihnen sagen. Ich bin ganz in der Stimmung...»
    «Sei still!» befahl ihr Will, und die Drohung, die plötzlich in seinem massiven, angsterfüllten Gesicht aufflammte, ließ sie erschreckt verstummen. «Er ist nicht schuld daran. Er wollte uns einen Gefallen tun. So etwas kann jedem passieren.»
    Erst jetzt wurde Violet Clagg das volle Ausmaß der Katastrophe bewußt. Sie übersetzte den leeren Platz, den sie anstelle des Hauses gefunden hatten, in ihre Sprache des Unglücks: «So wird es also keinen Champagner geben!» wimmerte sie.

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