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Waren Sie auch bei der Krönung?

Waren Sie auch bei der Krönung?

Titel: Waren Sie auch bei der Krönung? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Königin?»
    Er stellte sie auf den Boden nieder, seine Arme schmerzten. Die Mutter schob ihr einige feuchte Locken aus der Stirn und sagte: «Noch nicht, Liebling. Schlaf noch ein bißchen weiter.»
    Die Großmutter sagte: «Warum sagt ihr es ihr nicht? Sie wird sie nie zu Gesicht bekommen.»
    «Ich kann es ihr nicht sagen», erwiderte Will Clagg verzweifelt.
    Zum erstenmal wurde Johnny Clagg die Lage völlig klar. «Werden wir überhaupt nichts sehen?» jammerte er.
    Clagg mußte ihn anlügen: «Jetzt noch nicht. Vielleicht später.» Er überlegte, ob er mit dem wenigen Geld, das er bei sich hatte, den Polizisten bestechen könnte. Gleichzeitig wußte er jedoch, daß er, selbst wenn eine Million Jahre vergehen sollten, dem Polizisten mit einem solchen Vorschlag nicht kommen konnte und daß der Mann ihn in einer Million Jahre niemals annehmen würde. Inzwischen regnete es ununterbrochen weiter, und in der Ferne läuteten Glocken.
    Die durch das Erscheinen der Polizeioffiziere verursachte glückliche Stimmung hatte sich gerade verflüchtigt, als es zu einer andern Ab- ' lenkung kam. Eine Gruppe junger Leute fand sich ein, drei Mädchen und zwei Burschen, etwas über zwanzig Jahre alt und gut eingehüllt, um sich vor dem Wetter zu schützen. Sie hatten einen Schirm, ein kleines Kofferradio und zwei Päckchen Sandwiches bei sich. Mit jener grenzenlosen und heiteren Gleichgültigkeit gegenüber den Äußerlichkeiten des Lebens, wie sie der Jugend zu eigen ist, hatten sie offensichtlich die langen und komplizierten Bestimmungen ignoriert, die die Behörden für Regelung des Verkehrs von Fußgängern und Fahrzeugen am Krönungstage erlassen hatten, und so forderten sie den vielgeplagten Polizisten fröhlich auf, sie passieren zu lassen. Als ihnen prompt der Durchgang verwehrt wurde, protestierten sie nicht, sondern stellten ihr Rundfunkgerät unter den Schirm, schalteten es ein und stellten sich im Kreis auf, um zuzuhören.
    Die Stimme des Kommentators in der Westminster Abbey wurde vernehmbar. Die Nahestehenden, darunter die Claggs, traten noch näher heran, um hören zu können, und bald bildete sich ein ganzer Ring von Zuhörern um die jungen Leute. Sie und ihr Kofferradio standen bald im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, und das machte sie offensichtlich ganz glücklich.
    Die aus dem kleinen Lautsprecher tönende Stimme flößte den Claggs neues Leben ein. Sie waren dankbar dafür: es war, als ob sich plötzlich alles zum Besseren gewendet hätte. Sie lauschten begierig, ohne daß ihnen der Gedanke kam, daß sie denselben Kommentar genausogut in der Wärme und Bequemlichkeit ihres eigenen Heims hätten hören können.
    «Hört dem Mann zu», ermahnte Violet Clagg die beiden Kinder, «er spricht über die Königin.»
    Die gedämpfte Stimme des Berichterstatters in der Abtei sagte: «In einem Augenblick werden Sie die Fanfare hören. Sie ist das Signal für die feierliche Zeremonie, in der die Königin vom Erzbischof von Canterbury dem Adel des Reiches vorgestellt wird...»

    Hoch oben, unter dem Dach der Abtei, setzten Trompeter mit einer einmütigen Bewegung ihre mit Bannern geschmückten silbernen Instrumente an die Lippen und ließen eine Fanfare ertönen, die widerhallend den großen Dom erfüllte und das Schweigen in Gewölbe und Kirchenschiff zerschmetterte. Das war das Zeichen für den Beginn der Zeremonie der Anerkennung, jenes betörend schönen, anachronistischen Aktes, durch den die zur Krönung bereite Königin den zu ihrer Anerkennung versammelten Edlen des Reiches vorgestellt wurde.
    Die Königin in ihrer goldgestickten, weißen Robe war eine winzige Gestalt in einem Meer von Licht, als sie in der Mitte der Abtei auf dem mit einem blauen Teppich belegten Boden stand. Die Farbe ihres Gewandes drückte sinnbildlich aus, daß sie an diesem Tage auch die Braut Englands werden sollte, dem Staate, der Kirche und den britischen Untertanen in der ganzen Welt unlösbar angetraut.
    Es war einer jener erstaunlichen Augenblicke in der Geschichte der Zähmung des Menschen durch die Zivilisation, in denen er seine große weltliche Macht preisgibt, um dem geistigen Ideal zu dienen.
    Hier stand eine einsame Frau, sanft und hilflos wie ein Falter. Sie hatte keine Macht außer der Geschichte und dem Streben der Nation, die sie repräsentierte. Hinter ihr standen keine Armeen. An ihrer Seite stand nur ein gütiger alter Mann in schimmernd grünem Ornat, der ein Kreuz in der Hand hielt.
    Die Macht des Menschen war

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