Waren Sie auch bei der Krönung?
gleichsam personifiziert in der schwarz gekleideten Gestalt des Lordkanzlers in seiner mächtigen, furchteinflößenden Perücke, in dem Lordoberkämmerer, dem Großzeremonienmeister und dem Wappenkönig des Hosenbandordens in seinem vielfarbigen Waffenrock, die der Königin beinahe feindlich gegenüberzustehen schienen, und in der gewaltigen Gemeinde von Männern und Frauen, Hochadeligen und Edelleuten, die sie auf allen vier Seiten umgaben.
Das letzte Echo der Fanfare verklang in dem gewölbten Steinwerk des Abteidaches, und in der Stille, die nun folgte, konnte man die alte, klare, gewichtige Stimme des Erzbischofs von Canterbury vernehmen. Er ergriff die kleine, weiße Hand der Königin und sprach, sich mit ihr der nach Osten blickenden Masse von Gestalten und Gesichtern zuwendend, die Worte: «Sirs, ich stelle Ihnen Königin Elisabeth, die unbe-zweifelte Königin dieses Reiches vor. Sind Sie, die an diesem Tage gekommen sind, um ihr zu huldigen und zu dienen, gewillt, dies zu tun?»
Die Antwort kam sofort als ein kurzer, heller Zuruf: «Gott schütze Königin Elisabeth!»
Und wieder erklang die Fanfare von den silbernen Trompeten unter dem Dach, und die Königin grüßte die versammelten Adeligen mit einem exquisiten Hofknicks.
Sie war so jung und anmutig, und die Neigung ihres Kopfes und Körpers, mit der sie die Herren grüßte, war voller Sanftheit; aber sie vergab darum nicht ein Jota ihrer Würde. Diese Bewegung war ein Appell, aber gleichzeitig auch der Ausdruck ihrer Autorität, und dieser Appell war so unsagbar rührend, daß alle, die sie sahen, es nicht hindern konnten, daß sich ihre Kehlen zuschnürten und ihre Augen mit Tränen füllten. Die Königin bat um ihre Anerkennung und Bestätigung, denn ohne diese war sie nicht mehr als ein schwaches, verwundbares Menschenkind; und zur gleichen Zeit forderte sie diese Anerkennung, gestützt auf das Recht ihrer Geburt, ihrer Herkunft, Erbschaft und Gottes Zustimmung.
In diesem Augenblick wurden Geschichte und Tradition lebendig, und man erwartete fast, daß von himmlischer Höhe eine mächtige Stimme dem Dröhnen einer Orgel gleich ertönen würde: «Nimmst du, Volk von Großbritannien, diese Frau; Elisabeth, zu deiner dir gesetzlich angetrauten Königin, solange ihr beide am Leben seid?»
Viermal schmetterten die Trompeten, viermal stellte der ehrwürdige Erzbischof seine Frage, viermal beugte sich der braune Kopf, als die kleine, stolze Gestalt ihren Hofknicks nach Norden, Süden, Osten und Westen machte, auf daß sie in den vier Windrichtungen des Erdballs willkommen geheißen und anerkannt werde.
Die mit gedämpfter Stimme gesprochene Beschreibung aus der Abtei, die aus dem kleinen Rundfunkgerät unter dem Regenschirm ertönte, schlug plötzlich in Musik um und in die nasalen Laute eines französischen Liedes. Während die Königin in der Abtei in ihre Robe gekleidet wurde, klang die Beschreibung der Zeremonie langweilig, und so hatte einer der Jungen einfach auf einen französischen Sender umgeschaltet.
Damit wurde Will Clagg unvermittelt in die Realität zurückversetzt. Ihn packte maßlose Wut über den schäbigen Streich, den das Schicksal ihnen gespielt hatte. Beinahe wäre er in einem jähen Temperamentsausbruch gegen das Tor angestürmt, um es mit seinen kräftigen Schultern aufzusprengen und das Versprechen einzulösen, daß seine Tochter die Königin sehen würde.
Sein Zorn verebbte. Mit dem Auge eines Fachmannes erkannte er, daß die Barriere errichtet worden war, um dem Druck von Tausenden zu widerstehen. Er konnte mit Gewalt nichts erreichen. Aber was sollten sie nun tun? Wohin sollten sie gehen? Noch hofften sie, daß etwas den Tag für sie retten könnte. Sie gaben sich dem Glauben hin, daß sie sich durch ihr langes, geduldiges Ausharren eine Belohnung verdient hatten, als ob sie einen Aktivposten erworben oder dem Schicksal eine Gebühr oder Bestechung gezahlt hätten, und daß sie ihren Anspruch verpfänden würden, wenn sie nun ihr Glück woanders suchten. So wie die andern, die hoffnungsvoll an Ort und Stelle geblieben waren, betrachteten sie sich als die Veteranen dieses besonderen Sektors, als Schicksals- und Leidensgenossen. Sie hatten einige Freundschaften geschlossen, und jeder im Umkreis wußte um ihr Unglück und zeigte sein Mitgefühl. So waren sie nicht in der Stimmung, sich auf ein neues Territorium zu wagen. Die Fassade des St. Georgs-Krankenhauses war ihnen jetzt ebenso vertraut wie der Fahrweg im Hyde Park. Jede
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